Obwohl Danish* unter Tags arbeiten muss, haben wir auch hier schon wieder viele äußerst spannende Eindrücke aufgenommen. Vor zwei Jahren war der ebenfalls 27jährige junge Mann ziemlich verliebt in ein Mädchen aus der Nachbarschaft. Die angestrebte Hochzeit scheiterte jedoch am Veto seiner Oma. In der konservativ-traditionellen Familie hat sie das letzte Wort bei wichtigen Entscheidungen. Die Beziehung, die er mittlerweile zu einem anderen Mädchen hat, muss er absolut geheim halten. Sie treffen sich in abgeschiedenen Cafes oder unternehmen eine gemeinsame Spritztour außerhalb der Stadt. Intime Beziehungen unter Nicht-Verheirateten sind in liberalen Kreisen der iranischen Gesellschaft zwar normal, für traditionell eingestellte Familien aber ein absolutes No-Go.
Spannend ist auch die Beziehung zum nördlich gelegenen Nachbarland. Die gemeinsame Sprache und entfernte familiäre Netze verbinden natürlich. Im Fernseher laufen Musiksender aus Turkmenistan und gesprochen wird über das Land mit einer Mischung aus Verachtung vor dem undemokratischen System und Bewunderung vor dem vermeintlichen Fortschritt. Auf Hochglanz polierte Aufnahmen aus der komplett weißen Hauptstadt Aşgabat verzerren vielleicht das Bild der Realität ein wenig. Denn da gewesen, hinter der 50km entfernten Grenze, ist kaum einer der hier lebenden Turkmenen.
Der Tag heute war unerwartet heiß und mit 20°C so warm wie lange nicht mehr. So traf uns Danish* denn auch in seiner Mittagspause und führte uns zu einem Milchshake in einem Park aus. Davor schauten wir uns das Wahrzeichen der Stadt schlechthin an; einen 1000 Jahre alten Turm aus der Zeit der persischen Ziyariden-Dynastie.
Die Überforderung mit dem Land im Allgemeinen und der Gastfreundschaft im Besonderen hält derweil an. Alleine auf dem 500m messenden Weg von Danishs* Wohnung bis zum Turm sprachen uns drei verschiedene Männer an, die uns entweder zum Abendessen einladen, uns die Stadt zeigen oder uns sonst irgendwie helfen wollten. Diese abzuschütteln erforderte einiges an höflicher Beharrlichkeit und dauerte jeweils mehrere Minuten. Javid* aus Sari ruft täglich bei uns an und erkundigt sich nach unserem Wohlbefinden. Wenn wir Hilfe benötigen, könnten wir bei jeder Feuerwehr-Station des Landes auflaufen und er würde dann mit seinen Kollegen zusammen eine Lösung finden. Die Entmündigung unserer selbst nimmt dann jedes Mal aufs Neue seinen Höhepunkt, wenn wir einen Ort verlassen und zum nächsten weiter reisen möchten. Ohne einen konkreten Transportplan und eine Reservierung für eine Unterkunft vorlegen zu können, wird uns kein Gastgeber aus seinem Haus entlassen, sondern zum Telefon greifen und Bekannte sowie Verwandte in unserem Ziel anrufen. Erst wenn alles bis aufs letzte Detail geplant ist, können wir gehen, wenn uns der alte Gastgeber nicht ohnehin einfach in sein Auto einpackt und mit uns los fährt.
Die überschwängliche Höflichkeit und die damit einher gehenden sozialen Spielchen in der iranischen Gesellschaft tragen sogar einen eigenen Namen. Als „taarof“ wird angemessenes Benehmen bezeichnet. So ist es Gang und Gäbe unter Iranern sich zum Essen im Restaurant einzuladen, dies aber gar nicht so zu meinen. Vom Gegenüber wird erwartet, die Einladung zu erwidern, worauf eine Auseinandersetzung darüber folgt, wer denn nun zahlen darf. Am Ende, so erklärte uns Danish*, begleicht häufig jeder nur seine eigene Rechnung. Die gleichen Spielchen gibt es bei vielen anderen, ähnlichen Situationen im Alltag. Gewissheit darüber, ob eine Einladung zum Abendessen daheim, zur Mitnahme im Auto oder gar zur Übernachtung im eigenen Haus, von unserem Gegenüber auch tatsächlich so gemeint ist, können wir erst erhalten, wenn sie wiederholt wird, nachdem wir sie höflich ausgeschlagen haben. Ob wir dabei ein, zwei oder drei Mal ablehnen müssen, bevor wir uns sicher sein können oder wir unser Gegenüber vielleicht beim zweiten Mal genau durch unser Ablehnen schon beleidigen, hängt ganz von der Situation ab; erfordert also Fingerspitzengefühl, welches wir uns noch erarbeiten müssen.