Dieses mulmige Gefühl, von dem ich geschrieben hatte und das uns im Bus auf dem Weg nach Iranschahr heimsuchte, verflog sehr schnell wieder. Zum Großteil hatten wir das unseren Gastgebern zu verdanken. Hakim* und Rabea* sind beide um die 30, leben für das Studium die meisten Wochen des Jahres in Teheran und lernten sich bereits vor 15 Jahren kennen. Lange hielten sie ihre Liebesbeziehung geheim, sogar, oder vermutlich besser gerade eben, vor der eigenen Familie. Erst vor vier Jahren, so lautet die offizielle Version, hätten sie sich zufällig und zum ersten Mal in einer Bibliothek getroffen. Es folgten die Verlobung und die Hochzeit. Durch die offene und herzliche Art der beiden fühlten wir uns direkt wohl und willkommen. Zum Abendessen besuchten wir zwei Mal die Familie von Rabea* und wurden dort mit ähnlich offenen Armen empfangen.
Unser Aufenthalt in Iranschahr war vor allem interessant und spannend durch die Menschen, die dort leben. Wirklich jeder, einschließlich Hakim* und Rabea*, trägt die von mir im letzten Eintrag beschriebene und für Belutschen typische Kleidung. So war Rabea* stets in ein leuchtend gelbes Kleid, dekoriert mit rot-blauen Stickmustern und funkelnden Steinen, gehüllt. Auf der Straße warf sie allerdings ein dunkelblaues Tuch über, sodass die bunten Farben nur noch gerade so zu erahnen waren. Hakim* trug seinen belutschischen Zweiteiler tagein tagaus in schlichtem Weiß.
Während wir durch die kleine Stadt liefen, wurden wir oft mit einer Mischung aus Überraschung und Interesse angeschaut, häufig aber auch freundlich gegrüßt. Außerdem beobachteten wir einige Besonderheiten. So fahren wie im ganzen Land überproportional viele weiße Autos sowie zum Teil äußerst verrückte Motorradfahrer durch die Straßen. In Belutschistan gesellen sich allerdings auch kleine Minibusse dazu, die mit farbigen Akzenten geschmückt und auf dem Dach fast immer hoffnungslos überladen sind. Auf dem Bazaar fielen uns die bunten Stoffteile ins Auge. An jedem zweiten Laden hängen sie von der Decke und werden von den Kunden zu einem belutschischen Frauenkleid zusammen genäht. Die Hautfarbe und die gesamten äußeren Merkmale der Menschen variieren in dieser Region stark. So leben hier Einwohner mit recht hellem Teint wie in anderen Teilen des Irans. Häufig haben die Einheimischen aber recht dunkle Haut wie man es in Pakistan oder Indien vermuten würde. Und vor allem an der Küste in Tschabahar laufen einige Menschen umher, die ich mit ihrer schwarzen Haut und ihren kurzen Afro-Haaren genau so auch in Mosambik oder Tansania antreffen könnte. Ebenfalls nicht von der Hand zu weisen und fast an jeder Ecke ersichtlich ist die Armut dieser Provinz. Bettler möchten Geld haben und treten manchmal in erschreckend verwahrlostem Zustand auf. Einen Mann beobachteten wir dabei wie er sich ohne erkennbare Scham mitten im dichten Treiben eines Marktes eine Spritze in den leicht blutenden Unterarm setzte. Bei der geographischen Nähe zu den afghanischen Opium-Feldern liegt die Vermutung nahe, dass es sich um Heroin handelte.
All diese vielen Eindrücke zusammen genommen erzeugen eine andere und auch eine sehr fremde Welt. Das etwas bedrückende Gefühl der Angst vor dem Unbekannten und das hochinteressierte Begehren danach Neues kennenzulernen, eifern in solchen Situationen in mir um die Wette. Sich in einer solchen Welt willkommen zu fühlen und sie zusammen mit so freundlichen Einheimischen entdecken zu können ist etwas wirklich sehr besonderes [sic!] und einfach wunderbar.
In Tschabahar sind wir nun tatsächlich an der Küste des Irans angekommen. Hier ist immer Sommer und obwohl wir in der kühlsten Phase des Jahres angereist sind, klettert das Thermometer tagsüber auf 25°C und sinkt nachts kaum unter 17°C. Somit ist es deutlich wärmer als in nördlicheren Gebieten des Landes. Zum Vergleich die Wettervorhersage für einige, bereits angesteuerte Reisezeile, jeweils mit Höchst- und Niedrigtemperaturen für morgen:
Stadt Temperatur
Iranschahr
24°C / 9°C
Yazd
18°C / 4°C
Naschtifan
14°C / 3°C
Maschhad
13°C / 1°C
Ruin
6°C / -1°C
Teheran
11°C / 1°C
Tabriz
4°C / -3°C
Tschabahar
23°C / 18°C
Sari
19°C / 6°C
Stadt Temperatur
Iranschahr
24°C / 9°C
Yazd
18°C / 4°C
Naschtifan
14°C / 3°C
Maschhad
13°C / 1°C
Ruin
6°C / -1°C
Stadt Temperatur
Teheran
11°C / 1°C
Tabriz
4°C / -3°C
Tschabahar
23°C / 18°C
Sari
19°C / 6°C
Es ist der voraussichtlich südöstlichste Punkt der Reise. Gleichzeitig bin ich hier am Golf von Oman am weitesten von meiner Heimat entfernt. Emsdetten und Tschabahar trennt eine 5333km lange Luftlinie.
Profil

Hey, ich bin Michael...

… und sehe mich als abenteuerfreudigen und neugierigen Reisenden. Dabei faszinieren mich ganz besonders Begegnungen bei der Fahrt per Anhalter, Navigation mit Karte und Grenzübertritte jeder Art.
Fast täglich schreibe ich auf diesen Reisen mit großer Hingabe in ein Journal. Mit meiner Kamera halte ich besondere Momente als Foto fest.

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