Gebet am Fluss

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Journal

Dieser Tag war einer der intensivsten, wenn nicht der intensivste überhaupt bislang im Iran. Es war einer, an dem wir gleich mehrfach das Gefühl hatten, aufs Übelste über den Tisch gezogen worden zu sein, an dem wir verzweifelt durch die Gegend liefen und nicht mehr weiter wussten. Es war aber auch einer, an dem wir warmherzige Hilfe und echte Gastfreundschaft erlebten, an dem wir plötzlich im Haus einer arabisch-sprechenden Familie landeten und unglaublich viel über ihre Kultur kennen lernten konnten. Es war ein Tag, der zuerst unglaublich schrecklich und danach unglaublich schön war und erneut zeigte sich, dass man sich im Iran nur darüber gewiss sein kann, dass alles anders kommen wird als geplant.
Dieser Tag war einer der intensivsten, wenn nicht der intensivste überhaupt bislang im Iran. Es war einer, an dem wir gleich mehrfach das Gefühl hatten, aufs Übelste über den Tisch gezogen worden zu sein, an dem wir verzweifelt durch die Gegend liefen und nicht mehr weiter wussten. Es war aber auch einer, an dem wir warmherzige Hilfe und echte Gastfreundschaft erlebten, an dem wir plötzlich im Haus einer arabisch-sprechenden Familie landeten und unglaublich viel über ihre Kultur kennen lernten konnten. Es war ein Tag, der zuerst unglaublich schrecklich und danach unglaublich schön war und erneut zeigte sich, dass man sich im Iran nur darüber gewiss sein kann, dass alles anders kommen wird als geplant.

In Abadan ging es für uns gestern mit einem Taxi los, das uns zum Busterminal brachte. Weil wir dort aber erfolglos nach einem geeigneten Transport für uns suchten, waren wir auf die Hilfe eines jungen Mannes angewiesen, der uns zum Stand für Sammel-Taxis fuhr. Dort angekommen waren wir direkt umgeben von energetisch auftretenden Taxi-Fahrern, konnten uns aber aus dem Trubel befreien und letztlich mit zwei weiteren, in schwarze Tschaddors gehüllten Frauen in ein Savari einsteigen. Die etwa einstündige Fahrt auf einer immer geradeaus verlaufenden Schnellstraße nach Ahwaz verlief glatt und unaufgeregt. Als wir die Provinzhauptstadt erreichten, überschlugen sich jedoch die Ereignisse.

Schon während wir am Terminal einfuhren, rannten Männer wie wild neben unserem Taxi her und wollten, dass wir mit ihnen die Reise fortsetzen. Mit einer Gruppe von Taxi-Fahrern sprachen wir darüber, dass wir in Richtung Susangerd gebracht werden wollten. Niemand von ihnen hatte vermutlich die Absicht uns bis dorthin zu chauffieren. Doch keiner gab sich die Mühe dies zu erklären und so vereinbarten wir einen Preis von 5.000 Toman (≈ 0,37€) pro Person. Für die 110km von Abadan nach Ahwaz hatten wir 12.500 Toman (≈ 0,93€) pro Person gezahlt. Als wir dann aber nicht bis nach Susangerd fuhren, sondern bereits nach 3km einen anderen Taxi-Stand ansteuerten und unser Fahrer tatsächlich auf seine 100.000 Rial für diese kurze Mini-Strecke bestand, kochte die Wut in mir hoch. Beim sich anschließenden Wortgefecht bekam der Halsabschneider natürlich direkt Unterstützung von allen anwesenden Kollegen, sodass wir kleinbei geben mussten und die hitzige Szenerie verließen.
Um [uns] etwas abzukühlen und zu neuen Kräften zu kommen, suchten wir den nächsten Imbiss auf und bestellten anhand einiger an der Wand hängender Bilder eine Portion Reis mit Hühnchen. Serviert bekamen wir stattdessen zwei Gerichte – was noch ein Missverständnis hätte sein können – und zusätzlich jeweils eine Suppe. Salat und Joghurt ließen wir wieder zurückgehen. Dass all die vorgespielte Nettigkeit nur eine Masche war, um uns kräftig auszunehmen, wurde erst zum Schluss klar, als der Kassierer 85.000 Toman (≈ 6,35€) verlangte. 85.000! Die Umrechnung zum Euro wirft hier ein falsches Licht auf die Situation und kaschiert den wahnsinnigen Betrug und die riesige Frechheit, die dahinter stehen. 17 Falafel-Sandwiches hätten wir uns für denselben Betrag in Schiraz kaufen können, oder 9 Stunden Privat-Unterricht bei einem Englisch-Lehrer in Kerman oder gar 85 Liter Sprit an jeder beliebigen Tankstelle im ganzen Land.
Nachdem wir diesen Laden verlassen hatten und ich an mich hatte halten müssen nicht vollends auszurasten, waren wir fertig mit Ahwaz; Ahwaz allerdings noch nicht mit uns. Der Gang durch die belebten Straßen der großen Stadt, bei dem wir sogar darüber nachdachten die gesamte Provinz Chuzestan direkt zu verlassen, glich einem Spießroutenlauf. Wildfremde Menschen schrien uns aus weiter Entfernung zu, weil sie ein Foto mit uns machen wollten. Andere wiederum gafften uns einfach schräg an. Von der Seite warben Taxis mit ihrer Hupe um unsere Aufmerksamkeit. Selbst als wir uns völlig verzweifelt und am emotionalen Tiefpunkt angelangt an eine schattige Mauer setzten, nahm der Trubel kein Ende. Erneut traten Männer an uns heran, wollten helfen, uns in ihren Shop einladen oder uns irgendwo hinfahren. Es war keine Entspannung und kein Rückzugsort in Sicht. Am schlimmsten war ein Junge, der uns auf seinem Fahrrad überall hin folgte, sich in Gespräche einmischte, die wir mit anderen Menschen führten und der sich auch durch mehrmalige, deutliche Zurückweisungen nicht abschütteln ließ. Schon vor dem Mittagessen hatte er uns entdeckt und zog fortan, und bis zu unserer letzten Minute in Ahwaz, seine Kreise um uns.
Lediglich die Flucht nach vorne blieb uns übrig. An diesem Ort konnten wir nicht länger bleiben. Und so marschierten wir zur Ortsausgangsstraße nach Susangerd und stiegen in das erstbeste Taxi ein. Den jungen Fahrer konnten wir am Ende der Tour noch überreden, einige Extra-Kilometer für uns einzulegen und uns bis in das kleine Dorf Bardieh zu bringen.
Kurz vor unserem Ziel, einem Gasthaus in Form traditioneller Großraum-Zelte, den Mozifs, von dem ich in einem Blog-Eintrag gelesen hatte, kam erneut Ernüchterung auf. Vor einigen Monaten sei die Unterkunft abgebrannt, versuchte uns ein junger Herr mit dem englischen Wort „Fire“ zu erklären. Er lud uns in seinen Wagen ein und transportierte uns ins 2km entfernte Bardieh Kutschek, einem noch winzigeren Ableger des Dorfes. Am Eingang der Siedlung stand zwar ein großes Mozif, vom Eigentümer jedoch keine Spur. Stattdessen trudelten nach und nach Cousins und Onkel unserer Bekanntschaft aus der Nachbargemeinde ein. Einer von ihnen, Sayyid Sharif*, sprach etwas Englisch. Energisch riet er uns von dem Zelt ab. Es werde zu kalt in der Nacht, so führte er aus und er bat uns quasi darum, dass wir die Nacht bei ihm oder seinem Onkel Sayyid Akif* verbringen.
Insbesondere nach den Ereignissen dieses Tages war es unendlich schwierig für mich, mich darauf einzulassen. Ich war mir sicher, dass es nur wieder um Geld gehen könne und hatte keine Ahnung, dass echte und ehrlich gemeinte Gastfreundschaft hinter den Angeboten stand. Zudem waren wir äußerst erschöpft und sehnten uns in diesem Moment nach Ruhe. Es war die Sonne alleine, die in dieser Situation als roter Feuerball nur wenige Meter über dem Horizont der flachen Ebene stand, welche die Entscheidung für uns traf. Es war zu spät dafür noch irgendwo anders hinzukommen und so willigten wir ein. Wie sich herausstellen sollte, war es das Beste, was hätte passieren können.

In Abadan ging es für uns gestern mit einem Taxi los, das uns zum Busterminal brachte. Weil wir dort aber erfolglos nach einem geeigneten Transport für uns suchten, waren wir auf die Hilfe eines jungen Mannes angewiesen, der uns zum Stand für Sammel-Taxis fuhr. Dort angekommen waren wir direkt umgeben von energetisch auftretenden Taxi-Fahrern, konnten uns aber aus dem Trubel befreien und letztlich mit zwei weiteren, in schwarze Tschaddors gehüllten Frauen in ein Savari einsteigen. Die etwa einstündige Fahrt auf einer immer geradeaus verlaufenden Schnellstraße nach Ahwaz verlief glatt und unaufgeregt. Als wir die Provinzhauptstadt erreichten, überschlugen sich jedoch die Ereignisse.

Schon während wir am Terminal einfuhren, rannten Männer wie wild neben unserem Taxi her und wollten, dass wir mit ihnen die Reise fortsetzen. Mit einer Gruppe von Taxi-Fahrern sprachen wir darüber, dass wir in Richtung Susangerd gebracht werden wollten. Niemand von ihnen hatte vermutlich die Absicht uns bis dorthin zu chauffieren. Doch keiner gab sich die Mühe dies zu erklären und so vereinbarten wir einen Preis von 5.000 Toman (≈ 0,37€) pro Person. Für die 110km von Abadan nach Ahwaz hatten wir 12.500 Toman (≈ 0,93€) pro Person gezahlt. Als wir dann aber nicht bis nach Susangerd fuhren, sondern bereits nach 3km einen anderen Taxi-Stand ansteuerten und unser Fahrer tatsächlich auf seine 100.000 Rial für diese kurze Mini-Strecke bestand, kochte die Wut in mir hoch. Beim sich anschließenden Wortgefecht bekam der Halsabschneider natürlich direkt Unterstützung von allen anwesenden Kollegen, sodass wir kleinbei geben mussten und die hitzige Szenerie verließen.
Um [uns] etwas abzukühlen und zu neuen Kräften zu kommen, suchten wir den nächsten Imbiss auf und bestellten anhand einiger an der Wand hängender Bilder eine Portion Reis mit Hühnchen. Serviert bekamen wir stattdessen zwei Gerichte – was noch ein Missverständnis hätte sein können – und zusätzlich jeweils eine Suppe. Salat und Joghurt ließen wir wieder zurückgehen. Dass all die vorgespielte Nettigkeit nur eine Masche war, um uns kräftig auszunehmen, wurde erst zum Schluss klar, als der Kassierer 85.000 Toman (≈ 6,35€) verlangte. 85.000! Die Umrechnung zum Euro wirft hier ein falsches Licht auf die Situation und kaschiert den wahnsinnigen Betrug und die riesige Frechheit, die dahinter stehen. 17 Falafel-Sandwiches hätten wir uns für denselben Betrag in Schiraz kaufen können, oder 9 Stunden Privat-Unterricht bei einem Englisch-Lehrer in Kerman oder gar 85 Liter Sprit an jeder beliebigen Tankstelle im ganzen Land.
Nachdem wir diesen Laden verlassen hatten und ich an mich hatte halten müssen nicht vollends auszurasten, waren wir fertig mit Ahwaz; Ahwaz allerdings noch nicht mit uns. Der Gang durch die belebten Straßen der großen Stadt, bei dem wir sogar darüber nachdachten die gesamte Provinz Chuzestan direkt zu verlassen, glich einem Spießroutenlauf. Wildfremde Menschen schrien uns aus weiter Entfernung zu, weil sie ein Foto mit uns machen wollten. Andere wiederum gafften uns einfach schräg an. Von der Seite warben Taxis mit ihrer Hupe um unsere Aufmerksamkeit. Selbst als wir uns völlig verzweifelt und am emotionalen Tiefpunkt angelangt an eine schattige Mauer setzten, nahm der Trubel kein Ende. Erneut traten Männer an uns heran, wollten helfen, uns in ihren Shop einladen oder uns irgendwo hinfahren. Es war keine Entspannung und kein Rückzugsort in Sicht. Am schlimmsten war ein Junge, der uns auf seinem Fahrrad überall hin folgte, sich in Gespräche einmischte, die wir mit anderen Menschen führten und der sich auch durch mehrmalige, deutliche Zurückweisungen nicht abschütteln ließ. Schon vor dem Mittagessen hatte er uns entdeckt und zog fortan, und bis zu unserer letzten Minute in Ahwaz, seine Kreise um uns.
Lediglich die Flucht nach vorne blieb uns übrig. An diesem Ort konnten wir nicht länger bleiben. Und so marschierten wir zur Ortsausgangsstraße nach Susangerd und stiegen in das erstbeste Taxi ein. Den jungen Fahrer konnten wir am Ende der Tour noch überreden, einige Extra-Kilometer für uns einzulegen und uns bis in das kleine Dorf Bardieh zu bringen.
Kurz vor unserem Ziel, einem Gasthaus in Form traditioneller Großraum-Zelte, den Mozifs, von dem ich in einem Blog-Eintrag gelesen hatte, kam erneut Ernüchterung auf. Vor einigen Monaten sei die Unterkunft abgebrannt, versuchte uns ein junger Herr mit dem englischen Wort „Fire“ zu erklären. Er lud uns in seinen Wagen ein und transportierte uns ins 2km entfernte Bardieh Kutschek, einem noch winzigeren Ableger des Dorfes. Am Eingang der Siedlung stand zwar ein großes Mozif, vom Eigentümer jedoch keine Spur. Stattdessen trudelten nach und nach Cousins und Onkel unserer Bekanntschaft aus der Nachbargemeinde ein. Einer von ihnen, Sayyid Sharif*, sprach etwas Englisch. Energisch riet er uns von dem Zelt ab. Es werde zu kalt in der Nacht, so führte er aus und er bat uns quasi darum, dass wir die Nacht bei ihm oder seinem Onkel Sayyid Akif* verbringen.
Insbesondere nach den Ereignissen dieses Tages war es unendlich schwierig für mich, mich darauf einzulassen. Ich war mir sicher, dass es nur wieder um Geld gehen könne und hatte keine Ahnung, dass echte und ehrlich gemeinte Gastfreundschaft hinter den Angeboten stand. Zudem waren wir äußerst erschöpft und sehnten uns in diesem Moment nach Ruhe. Es war die Sonne alleine, die in dieser Situation als roter Feuerball nur wenige Meter über dem Horizont der flachen Ebene stand, welche die Entscheidung für uns traf. Es war zu spät dafür noch irgendwo anders hinzukommen und so willigten wir ein. Wie sich herausstellen sollte, war es das Beste, was hätte passieren können.
Unverzüglich geleitete man uns am späten Montagnachmittag vom Eingang der kleinen Siedlung Bardieh Kutschek zum Haus unseres neuen Gastgebers Sayyid Akif*. In dem eingeschossigen Domizil wurde uns ein geräumiges Zimmer zugeteilt. Von nun an trudelten immer mehr Menschen, vorrangig junge Männer oder Kinder, ein, waren ganz aufgeregt über den unerwarteten Besuch aus einem so fernen Land und begrüßten uns euphorisch. Zunächst gab Sayyid Sharif* sein Bestes, um ein wenig zu übersetzen. Überschwänglich schwärmten unsere Gastgeber von Deutschland, outeten sich als Fans unserer Fußball-Nationalmannschaft und nannten ihre Lieblingsspieler. Einige äußerten sogar den Wunsch nach Deutschland auszuwandern. Natürlich wurden wir auch interessiert ausgefragt über das Leben in unserer Heimat. Sie wollten zum Beispiel wissen, wie das Studieren in Deutschland funktioniert, welche Religionen es bei uns gibt oder auch wie wir das Geld für so eine lange Reise ansparen konnten.
Kurz vor dem Abendessen traf Ahmad* ein. Als Englischlehrer war der aufgeweckte, junge Mann eine große Hilfe dabei zu kommunizieren. Schnell wurde klar, dass sich die gesamte Großfamilie und damit die Hälfte des Dorfes bei Sayyid Akif* versammelte. So saßen Cousins, Neffen oder Onkel von ihm in der Runde. Ebenso deutlich wurde, dass unsere warmherzigen Gastgeber einen eher konservativen Lebensstil pflegen. Der Islam nimmt in dem schiitischen Haushalt eine große Rolle ein. Kurz nach dem Eintreffen, als die Sonne untergegangen war, wuschen sich die Familienmitglieder im Gesicht sowie an Händen und Füßen. Einer nach dem anderen breitete dann vor uns einen Gebetsteppich aus und sandte für drei oder vier Minuten einige Worte in Richtung Mekka. Die Geschlechterrollen sind klar verteilt. Frauen haben sich um den Haushalt zu kümmern und das Essen zuzubereiten. Männer verlassen das Haus und gehen arbeiten. Sie stehen der Familie vor und vertreten sie nach außen hin. Auf das Tragen des Hidschabs, also des islamischen Kopftuches, wird auch von den Frauen selber großer Wert gelegt.
Wie schon als wir in Abadan durch die Straßen liefen hörten wir auch in Bardieh kaum einen Satz auf Farsi. Die Familie von Sayyid Akif* gehört zur arabischsprechenden Minderheit im Iran, die in der Provinz Chuzestan einen großen Anteil der Bevölkerung stellt. Wir konnten viele interessante Details der Traditionen und Bräuche dieser Region miterleben. Betritt ein neuer Gast den Raum, dann spricht er zur Begrüßung „Salam `aleikum“, was frei übersetzt ungefähr „Friede sei mit dir/euch“ bedeutet. Die Anwesenden antworten darauf mit „`aleiki salam“. Unter den Männern ist es üblich sich die Hand zu geben, einen Kuss auf die linke Wange auszutauschen und danach sich mit der rechten Schulter zu berühren. Ein Handschlag zwischen Mann und Frau ist nur dann gestattet, wenn sich die zwei nicht heiraten können, sprich wenn es sich um Geschwister, Kinder, Neffen, Enkel, Onkel, Tanten, Eltern oder Großeltern handelt. Schon zwischen Cousinen und Cousins ist eine Trauung möglich und darüber hinaus alles andere als unüblich.
Auch aus kulinarischer Sicht gab es viele Besonderheiten. Ihren Tee trinken viele Araber, indem sie den Inhalt ihres kleinen Glases zunächst auf den Untersetzer gießen und dann daraus schlürfen. Kaffee wird in sehr kleinen Portionen aus einer Dalleh, einer bauchigen Schnabelkanne, serviert. Er ist sehr bitter und äußerst stark. Wenn man nachgeschenkt bekommen möchte, reicht man seine Tasse einfach dem Dalleh-Träger zurück. Hat man genug, so kippt man die Tasse während der Rückgabe hin und her. Zum Frühstück konnten wir dabei zusehen, wie die Frau unseres Gastgebers ein traditionelles Fladenbrot aus Reismehl backte. Zusammen mit frischem Weichkäse und Rührei schmeckte es sehr lecker.
Drei Tage bevor wir in Bardieh eintrafen, hatten zwei Dorfbewohner geheiratet. Den Bräuchen folgend luden Braut und Bräutigam an den sieben Abenden nach der Hochzeit zu sich nach hause [sic!] ein. Auch wir statteten ihnen am Montag einen kurzen Besuch ab und mussten uns schon an der Eingangstür trennen. Alex ging zusammen mit den Frauen in ein Zimmer, ich setzte mich in eine reine Herren-Runde im Nebenraum. Bis zu 36 Männer jeglichen Alters saßen in einem großen Kreis auf dem Teppichboden, unterhielten sich untereinander oder stellten mir einige Fragen. Fast jeder wollte ein Foto mit mir machen. Ein Onkel aus Bagdad wurde per Videotelefonie dazu geschaltet und mir zum Gespräch hingehalten. Außerdem wurden mir Kekse und ein rotes Sirup-Getränk serviert, obwohl niemand sonst im Raum etwas hatte.
Sonst noch interessant: Das Wort Sayyid ist keineswegs ein Name, sondern ein unter schiitischen Muslimen geläufiger Ehrentitel, den ausschließlich männliche Nachfahren des Propheten Mohammed tragen dürfen.
Am Dienstag ließen es sich unsere Gastgeber nicht nehmen uns bis zu unserem nächsten Etappenziel Dezful zu fahren. Auf dem Weg stoppten wir bei zwei kleinen Hütten, in denen die Familien von zwei Brüdern Sayyid Akifs* über die kühleren Monate wohnen. Im Sommer, so sagte man uns, sei dort nur Wüste. Das war kaum zu glauben, denn der Regen der letzten Wochen hatte die Landschaft in eine grüne Wiese mit kleinen Hügeln verwandelt. Kühe und Schafe erfreuten sich an der frischen Nahrung. Wir genossen die Ruhe der Natur, spazierten im Schatten einiger Bäume umher und wurden zum Tee eingeladen. Spuren aus dem Iran-Irak-Krieg der 1980er Jahre hatten wir bereits in manchen Häuserfassaden Abadans entdeckt. Doch als uns einer der in ein weißes Gewand gekleideten Hirten eine nicht explodierte Fliegerbombe zeigte, von der nur der hintere Ring aus dem Gras heraus schaute, war ich doch etwas erschrocken.
Unseren letzten Zwischenstopp legten wir in Schusch, der Nachfolgestadt der historischen Siedlung Susa, ein. Hier befand sich vom 3. bis zum 1. Jahrtausend vor Christus das politische Zentrum des Reiches von Elam, einem Gegenspieler der Reiche von Babylon und Assyrien aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Es ging später im Persischen Reich auf und gilt vielen Iranern als Geburtsstätte ihrer Kultur. Der Prophet Daniel, ein jüdischer Traumdeuter und Namenspatron eines Buches des Tanach beziehungsweise des Alten Testaments, soll in Susa Zuflucht gefunden und dort im Exil gelebt haben. Sein Grabmal dient heute Muslimen als Pilgerstätte und konnte mich vor allem durch seine Außenansicht faszinieren. Ein weißer, spitz zulaufender Kegelturm ragt direkt über seinem Sarg aus dem Gebäude heraus. Er ist knapp 15m hoch und in waagerechten Abschnitten mit bauchigen Einkerbungen versehen, die ein regelmäßiges Muster entstehen lassen.
Unverzüglich geleitete man uns am späten Montagnachmittag vom Eingang der kleinen Siedlung Bardieh Kutschek zum Haus unseres neuen Gastgebers Sayyid Akif*. In dem eingeschossigen Domizil wurde uns ein geräumiges Zimmer zugeteilt. Von nun an trudelten immer mehr Menschen, vorrangig junge Männer oder Kinder, ein, waren ganz aufgeregt über den unerwarteten Besuch aus einem so fernen Land und begrüßten uns euphorisch. Zunächst gab Sayyid Sharif* sein Bestes, um ein wenig zu übersetzen. Überschwänglich schwärmten unsere Gastgeber von Deutschland, outeten sich als Fans unserer Fußball-Nationalmannschaft und nannten ihre Lieblingsspieler. Einige äußerten sogar den Wunsch nach Deutschland auszuwandern. Natürlich wurden wir auch interessiert ausgefragt über das Leben in unserer Heimat. Sie wollten zum Beispiel wissen, wie das Studieren in Deutschland funktioniert, welche Religionen es bei uns gibt oder auch wie wir das Geld für so eine lange Reise ansparen konnten.
Kurz vor dem Abendessen traf Ahmad* ein. Als Englischlehrer war der aufgeweckte, junge Mann eine große Hilfe dabei zu kommunizieren. Schnell wurde klar, dass sich die gesamte Großfamilie und damit die Hälfte des Dorfes bei Sayyid Akif* versammelte. So saßen Cousins, Neffen oder Onkel von ihm in der Runde. Ebenso deutlich wurde, dass unsere warmherzigen Gastgeber einen eher konservativen Lebensstil pflegen. Der Islam nimmt in dem schiitischen Haushalt eine große Rolle ein. Kurz nach dem Eintreffen, als die Sonne untergegangen war, wuschen sich die Familienmitglieder im Gesicht sowie an Händen und Füßen. Einer nach dem anderen breitete dann vor uns einen Gebetsteppich aus und sandte für drei oder vier Minuten einige Worte in Richtung Mekka. Die Geschlechterrollen sind klar verteilt. Frauen haben sich um den Haushalt zu kümmern und das Essen zuzubereiten. Männer verlassen das Haus und gehen arbeiten. Sie stehen der Familie vor und vertreten sie nach außen hin. Auf das Tragen des Hidschabs, also des islamischen Kopftuches, wird auch von den Frauen selber großer Wert gelegt.
Wie schon als wir in Abadan durch die Straßen liefen hörten wir auch in Bardieh kaum einen Satz auf Farsi. Die Familie von Sayyid Akif* gehört zur arabischsprechenden Minderheit im Iran, die in der Provinz Chuzestan einen großen Anteil der Bevölkerung stellt. Wir konnten viele interessante Details der Traditionen und Bräuche dieser Region miterleben. Betritt ein neuer Gast den Raum, dann spricht er zur Begrüßung „Salam `aleikum“, was frei übersetzt ungefähr „Friede sei mit dir/euch“ bedeutet. Die Anwesenden antworten darauf mit „`aleiki salam“. Unter den Männern ist es üblich sich die Hand zu geben, einen Kuss auf die linke Wange auszutauschen und danach sich mit der rechten Schulter zu berühren. Ein Handschlag zwischen Mann und Frau ist nur dann gestattet, wenn sich die zwei nicht heiraten können, sprich wenn es sich um Geschwister, Kinder, Neffen, Enkel, Onkel, Tanten, Eltern oder Großeltern handelt. Schon zwischen Cousinen und Cousins ist eine Trauung möglich und darüber hinaus alles andere als unüblich.
Auch aus kulinarischer Sicht gab es viele Besonderheiten. Ihren Tee trinken viele Araber, indem sie den Inhalt ihres kleinen Glases zunächst auf den Untersetzer gießen und dann daraus schlürfen. Kaffee wird in sehr kleinen Portionen aus einer Dalleh, einer bauchigen Schnabelkanne, serviert. Er ist sehr bitter und äußerst stark. Wenn man nachgeschenkt bekommen möchte, reicht man seine Tasse einfach dem Dalleh-Träger zurück. Hat man genug, so kippt man die Tasse während der Rückgabe hin und her. Zum Frühstück konnten wir dabei zusehen, wie die Frau unseres Gastgebers ein traditionelles Fladenbrot aus Reismehl backte. Zusammen mit frischem Weichkäse und Rührei schmeckte es sehr lecker.
Drei Tage bevor wir in Bardieh eintrafen, hatten zwei Dorfbewohner geheiratet. Den Bräuchen folgend luden Braut und Bräutigam an den sieben Abenden nach der Hochzeit zu sich nach hause [sic!] ein. Auch wir statteten ihnen am Montag einen kurzen Besuch ab und mussten uns schon an der Eingangstür trennen. Alex ging zusammen mit den Frauen in ein Zimmer, ich setzte mich in eine reine Herren-Runde im Nebenraum. Bis zu 36 Männer jeglichen Alters saßen in einem großen Kreis auf dem Teppichboden, unterhielten sich untereinander oder stellten mir einige Fragen. Fast jeder wollte ein Foto mit mir machen. Ein Onkel aus Bagdad wurde per Videotelefonie dazu geschaltet und mir zum Gespräch hingehalten. Außerdem wurden mir Kekse und ein rotes Sirup-Getränk serviert, obwohl niemand sonst im Raum etwas hatte.
Sonst noch interessant: Das Wort Sayyid ist keineswegs ein Name, sondern ein unter schiitischen Muslimen geläufiger Ehrentitel, den ausschließlich männliche Nachfahren des Propheten Mohammed tragen dürfen.
Am Dienstag ließen es sich unsere Gastgeber nicht nehmen uns bis zu unserem nächsten Etappenziel Dezful zu fahren. Auf dem Weg stoppten wir bei zwei kleinen Hütten, in denen die Familien von zwei Brüdern Sayyid Akifs* über die kühleren Monate wohnen. Im Sommer, so sagte man uns, sei dort nur Wüste. Das war kaum zu glauben, denn der Regen der letzten Wochen hatte die Landschaft in eine grüne Wiese mit kleinen Hügeln verwandelt. Kühe und Schafe erfreuten sich an der frischen Nahrung. Wir genossen die Ruhe der Natur, spazierten im Schatten einiger Bäume umher und wurden zum Tee eingeladen. Spuren aus dem Iran-Irak-Krieg der 1980er Jahre hatten wir bereits in manchen Häuserfassaden Abadans entdeckt. Doch als uns einer der in ein weißes Gewand gekleideten Hirten eine nicht explodierte Fliegerbombe zeigte, von der nur der hintere Ring aus dem Gras heraus schaute, war ich doch etwas erschrocken.
Unseren letzten Zwischenstopp legten wir in Schusch, der Nachfolgestadt der historischen Siedlung Susa, ein. Hier befand sich vom 3. bis zum 1. Jahrtausend vor Christus das politische Zentrum des Reiches von Elam, einem Gegenspieler der Reiche von Babylon und Assyrien aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Es ging später im Persischen Reich auf und gilt vielen Iranern als Geburtsstätte ihrer Kultur. Der Prophet Daniel, ein jüdischer Traumdeuter und Namenspatron eines Buches des Tanach beziehungsweise des Alten Testaments, soll in Susa Zuflucht gefunden und dort im Exil gelebt haben. Sein Grabmal dient heute Muslimen als Pilgerstätte und konnte mich vor allem durch seine Außenansicht faszinieren. Ein weißer, spitz zulaufender Kegelturm ragt direkt über seinem Sarg aus dem Gebäude heraus. Er ist knapp 15m hoch und in waagerechten Abschnitten mit bauchigen Einkerbungen versehen, die ein regelmäßiges Muster entstehen lassen.
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Michael

liebt es zu reisen und dabei die Welt zu beobachten. Während er unterwegs ist, tauscht er alle Hobbies gegen eines ein: Journal führen. Mit exzessiver Akribie malt er stundenlang Karten, gestaltet Übersichts-Tabellen und schreibt Erlebtes nieder.

* Damit ich niemanden in ernsthafte Probleme bringe, habe ich die mit * markierten Personen pseudonymisiert.

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… und sehe mich als abenteuerfreudigen und neugierigen Reisenden. Dabei faszinieren mich ganz besonders Begegnungen bei der Fahrt per Anhalter, Navigation mit Karte und Grenzübertritte jeder Art.
Fast täglich schreibe ich auf diesen Reisen mit großer Hingabe in ein Journal. Mit meiner Kamera halte ich besondere Momente als Foto fest.

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Launch der digitalen Ausstellung

Zeitgleich mit dem Beginn der analogen Ausstellung in der TurnVilla, startet heute auch die digitale Ausstellung auf dieser Website. Ab

Die Ausstellung ist eröffnet!

Seit heute sind die 11 Motive dieser Foto-Ausstellung in der TurnVilla des TV Emsdetten zu sehen! Außerdem hängen dort die

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Dieser Tag war einer der intensivsten, wenn nicht der intensivste überhaupt bislang im Iran. Es war einer, an dem wir gleich mehrfach das Gefühl hatten, aufs Übelste über den Tisch gezogen worden zu sein, an dem wir verzweifelt durch die Gegend liefen und nicht mehr weiter wussten. Es war aber auch einer, an dem wir warmherzige Hilfe und echte Gastfreundschaft erlebten, an dem wir plötzlich im Haus einer arabisch-sprechenden Familie landeten und unglaublich viel über ihre Kultur kennen lernten konnten. Es war ein Tag, der zuerst unglaublich schrecklich und danach unglaublich schön war und erneut zeigte sich, dass man sich im Iran nur darüber gewiss sein kann, dass alles anders kommen wird als geplant.
Dieser Tag war einer der intensivsten, wenn nicht der intensivste überhaupt bislang im Iran. Es war einer, an dem wir gleich mehrfach das Gefühl hatten, aufs Übelste über den Tisch gezogen worden zu sein, an dem wir verzweifelt durch die Gegend liefen und nicht mehr weiter wussten. Es war aber auch einer, an dem wir warmherzige Hilfe und echte Gastfreundschaft erlebten, an dem wir plötzlich im Haus einer arabisch-sprechenden Familie landeten und unglaublich viel über ihre Kultur kennen lernten konnten. Es war ein Tag, der zuerst unglaublich schrecklich und danach unglaublich schön war und erneut zeigte sich, dass man sich im Iran nur darüber gewiss sein kann, dass alles anders kommen wird als geplant.

In Abadan ging es für uns gestern mit einem Taxi los, das uns zum Busterminal brachte. Weil wir dort aber erfolglos nach einem geeigneten Transport für uns suchten, waren wir auf die Hilfe eines jungen Mannes angewiesen, der uns zum Stand für Sammel-Taxis fuhr. Dort angekommen waren wir direkt umgeben von energetisch auftretenden Taxi-Fahrern, konnten uns aber aus dem Trubel befreien und letztlich mit zwei weiteren, in schwarze Tschaddors gehüllten Frauen in ein Savari einsteigen. Die etwa einstündige Fahrt auf einer immer geradeaus verlaufenden Schnellstraße nach Ahwaz verlief glatt und unaufgeregt. Als wir die Provinzhauptstadt erreichten, überschlugen sich jedoch die Ereignisse.

Schon während wir am Terminal einfuhren, rannten Männer wie wild neben unserem Taxi her und wollten, dass wir mit ihnen die Reise fortsetzen. Mit einer Gruppe von Taxi-Fahrern sprachen wir darüber, dass wir in Richtung Susangerd gebracht werden wollten. Niemand von ihnen hatte vermutlich die Absicht uns bis dorthin zu chauffieren. Doch keiner gab sich die Mühe dies zu erklären und so vereinbarten wir einen Preis von 5.000 Toman (≈ 0,37€) pro Person. Für die 110km von Abadan nach Ahwaz hatten wir 12.500 Toman (≈ 0,93€) pro Person gezahlt. Als wir dann aber nicht bis nach Susangerd fuhren, sondern bereits nach 3km einen anderen Taxi-Stand ansteuerten und unser Fahrer tatsächlich auf seine 100.000 Rial für diese kurze Mini-Strecke bestand, kochte die Wut in mir hoch. Beim sich anschließenden Wortgefecht bekam der Halsabschneider natürlich direkt Unterstützung von allen anwesenden Kollegen, sodass wir kleinbei geben mussten und die hitzige Szenerie verließen.
Um [uns] etwas abzukühlen und zu neuen Kräften zu kommen, suchten wir den nächsten Imbiss auf und bestellten anhand einiger an der Wand hängender Bilder eine Portion Reis mit Hühnchen. Serviert bekamen wir stattdessen zwei Gerichte – was noch ein Missverständnis hätte sein können – und zusätzlich jeweils eine Suppe. Salat und Joghurt ließen wir wieder zurückgehen. Dass all die vorgespielte Nettigkeit nur eine Masche war, um uns kräftig auszunehmen, wurde erst zum Schluss klar, als der Kassierer 85.000 Toman (≈ 6,35€) verlangte. 85.000! Die Umrechnung zum Euro wirft hier ein falsches Licht auf die Situation und kaschiert den wahnsinnigen Betrug und die riesige Frechheit, die dahinter stehen. 17 Falafel-Sandwiches hätten wir uns für denselben Betrag in Schiraz kaufen können, oder 9 Stunden Privat-Unterricht bei einem Englisch-Lehrer in Kerman oder gar 85 Liter Sprit an jeder beliebigen Tankstelle im ganzen Land.
Nachdem wir diesen Laden verlassen hatten und ich an mich hatte halten müssen nicht vollends auszurasten, waren wir fertig mit Ahwaz; Ahwaz allerdings noch nicht mit uns. Der Gang durch die belebten Straßen der großen Stadt, bei dem wir sogar darüber nachdachten die gesamte Provinz Chuzestan direkt zu verlassen, glich einem Spießroutenlauf. Wildfremde Menschen schrien uns aus weiter Entfernung zu, weil sie ein Foto mit uns machen wollten. Andere wiederum gafften uns einfach schräg an. Von der Seite warben Taxis mit ihrer Hupe um unsere Aufmerksamkeit. Selbst als wir uns völlig verzweifelt und am emotionalen Tiefpunkt angelangt an eine schattige Mauer setzten, nahm der Trubel kein Ende. Erneut traten Männer an uns heran, wollten helfen, uns in ihren Shop einladen oder uns irgendwo hinfahren. Es war keine Entspannung und kein Rückzugsort in Sicht. Am schlimmsten war ein Junge, der uns auf seinem Fahrrad überall hin folgte, sich in Gespräche einmischte, die wir mit anderen Menschen führten und der sich auch durch mehrmalige, deutliche Zurückweisungen nicht abschütteln ließ. Schon vor dem Mittagessen hatte er uns entdeckt und zog fortan, und bis zu unserer letzten Minute in Ahwaz, seine Kreise um uns.
Lediglich die Flucht nach vorne blieb uns übrig. An diesem Ort konnten wir nicht länger bleiben. Und so marschierten wir zur Ortsausgangsstraße nach Susangerd und stiegen in das erstbeste Taxi ein. Den jungen Fahrer konnten wir am Ende der Tour noch überreden, einige Extra-Kilometer für uns einzulegen und uns bis in das kleine Dorf Bardieh zu bringen.
Kurz vor unserem Ziel, einem Gasthaus in Form traditioneller Großraum-Zelte, den Mozifs, von dem ich in einem Blog-Eintrag gelesen hatte, kam erneut Ernüchterung auf. Vor einigen Monaten sei die Unterkunft abgebrannt, versuchte uns ein junger Herr mit dem englischen Wort „Fire“ zu erklären. Er lud uns in seinen Wagen ein und transportierte uns ins 2km entfernte Bardieh Kutschek, einem noch winzigeren Ableger des Dorfes. Am Eingang der Siedlung stand zwar ein großes Mozif, vom Eigentümer jedoch keine Spur. Stattdessen trudelten nach und nach Cousins und Onkel unserer Bekanntschaft aus der Nachbargemeinde ein. Einer von ihnen, Sayyid Sharif*, sprach etwas Englisch. Energisch riet er uns von dem Zelt ab. Es werde zu kalt in der Nacht, so führte er aus und er bat uns quasi darum, dass wir die Nacht bei ihm oder seinem Onkel Sayyid Akif* verbringen.
Insbesondere nach den Ereignissen dieses Tages war es unendlich schwierig für mich, mich darauf einzulassen. Ich war mir sicher, dass es nur wieder um Geld gehen könne und hatte keine Ahnung, dass echte und ehrlich gemeinte Gastfreundschaft hinter den Angeboten stand. Zudem waren wir äußerst erschöpft und sehnten uns in diesem Moment nach Ruhe. Es war die Sonne alleine, die in dieser Situation als roter Feuerball nur wenige Meter über dem Horizont der flachen Ebene stand, welche die Entscheidung für uns traf. Es war zu spät dafür noch irgendwo anders hinzukommen und so willigten wir ein. Wie sich herausstellen sollte, war es das Beste, was hätte passieren können.

In Abadan ging es für uns gestern mit einem Taxi los, das uns zum Busterminal brachte. Weil wir dort aber erfolglos nach einem geeigneten Transport für uns suchten, waren wir auf die Hilfe eines jungen Mannes angewiesen, der uns zum Stand für Sammel-Taxis fuhr. Dort angekommen waren wir direkt umgeben von energetisch auftretenden Taxi-Fahrern, konnten uns aber aus dem Trubel befreien und letztlich mit zwei weiteren, in schwarze Tschaddors gehüllten Frauen in ein Savari einsteigen. Die etwa einstündige Fahrt auf einer immer geradeaus verlaufenden Schnellstraße nach Ahwaz verlief glatt und unaufgeregt. Als wir die Provinzhauptstadt erreichten, überschlugen sich jedoch die Ereignisse.

Schon während wir am Terminal einfuhren, rannten Männer wie wild neben unserem Taxi her und wollten, dass wir mit ihnen die Reise fortsetzen. Mit einer Gruppe von Taxi-Fahrern sprachen wir darüber, dass wir in Richtung Susangerd gebracht werden wollten. Niemand von ihnen hatte vermutlich die Absicht uns bis dorthin zu chauffieren. Doch keiner gab sich die Mühe dies zu erklären und so vereinbarten wir einen Preis von 5.000 Toman (≈ 0,37€) pro Person. Für die 110km von Abadan nach Ahwaz hatten wir 12.500 Toman (≈ 0,93€) pro Person gezahlt. Als wir dann aber nicht bis nach Susangerd fuhren, sondern bereits nach 3km einen anderen Taxi-Stand ansteuerten und unser Fahrer tatsächlich auf seine 100.000 Rial für diese kurze Mini-Strecke bestand, kochte die Wut in mir hoch. Beim sich anschließenden Wortgefecht bekam der Halsabschneider natürlich direkt Unterstützung von allen anwesenden Kollegen, sodass wir kleinbei geben mussten und die hitzige Szenerie verließen.
Um [uns] etwas abzukühlen und zu neuen Kräften zu kommen, suchten wir den nächsten Imbiss auf und bestellten anhand einiger an der Wand hängender Bilder eine Portion Reis mit Hühnchen. Serviert bekamen wir stattdessen zwei Gerichte – was noch ein Missverständnis hätte sein können – und zusätzlich jeweils eine Suppe. Salat und Joghurt ließen wir wieder zurückgehen. Dass all die vorgespielte Nettigkeit nur eine Masche war, um uns kräftig auszunehmen, wurde erst zum Schluss klar, als der Kassierer 85.000 Toman (≈ 6,35€) verlangte. 85.000! Die Umrechnung zum Euro wirft hier ein falsches Licht auf die Situation und kaschiert den wahnsinnigen Betrug und die riesige Frechheit, die dahinter stehen. 17 Falafel-Sandwiches hätten wir uns für denselben Betrag in Schiraz kaufen können, oder 9 Stunden Privat-Unterricht bei einem Englisch-Lehrer in Kerman oder gar 85 Liter Sprit an jeder beliebigen Tankstelle im ganzen Land.
Nachdem wir diesen Laden verlassen hatten und ich an mich hatte halten müssen nicht vollends auszurasten, waren wir fertig mit Ahwaz; Ahwaz allerdings noch nicht mit uns. Der Gang durch die belebten Straßen der großen Stadt, bei dem wir sogar darüber nachdachten die gesamte Provinz Chuzestan direkt zu verlassen, glich einem Spießroutenlauf. Wildfremde Menschen schrien uns aus weiter Entfernung zu, weil sie ein Foto mit uns machen wollten. Andere wiederum gafften uns einfach schräg an. Von der Seite warben Taxis mit ihrer Hupe um unsere Aufmerksamkeit. Selbst als wir uns völlig verzweifelt und am emotionalen Tiefpunkt angelangt an eine schattige Mauer setzten, nahm der Trubel kein Ende. Erneut traten Männer an uns heran, wollten helfen, uns in ihren Shop einladen oder uns irgendwo hinfahren. Es war keine Entspannung und kein Rückzugsort in Sicht. Am schlimmsten war ein Junge, der uns auf seinem Fahrrad überall hin folgte, sich in Gespräche einmischte, die wir mit anderen Menschen führten und der sich auch durch mehrmalige, deutliche Zurückweisungen nicht abschütteln ließ. Schon vor dem Mittagessen hatte er uns entdeckt und zog fortan, und bis zu unserer letzten Minute in Ahwaz, seine Kreise um uns.
Lediglich die Flucht nach vorne blieb uns übrig. An diesem Ort konnten wir nicht länger bleiben. Und so marschierten wir zur Ortsausgangsstraße nach Susangerd und stiegen in das erstbeste Taxi ein. Den jungen Fahrer konnten wir am Ende der Tour noch überreden, einige Extra-Kilometer für uns einzulegen und uns bis in das kleine Dorf Bardieh zu bringen.
Kurz vor unserem Ziel, einem Gasthaus in Form traditioneller Großraum-Zelte, den Mozifs, von dem ich in einem Blog-Eintrag gelesen hatte, kam erneut Ernüchterung auf. Vor einigen Monaten sei die Unterkunft abgebrannt, versuchte uns ein junger Herr mit dem englischen Wort „Fire“ zu erklären. Er lud uns in seinen Wagen ein und transportierte uns ins 2km entfernte Bardieh Kutschek, einem noch winzigeren Ableger des Dorfes. Am Eingang der Siedlung stand zwar ein großes Mozif, vom Eigentümer jedoch keine Spur. Stattdessen trudelten nach und nach Cousins und Onkel unserer Bekanntschaft aus der Nachbargemeinde ein. Einer von ihnen, Sayyid Sharif*, sprach etwas Englisch. Energisch riet er uns von dem Zelt ab. Es werde zu kalt in der Nacht, so führte er aus und er bat uns quasi darum, dass wir die Nacht bei ihm oder seinem Onkel Sayyid Akif* verbringen.
Insbesondere nach den Ereignissen dieses Tages war es unendlich schwierig für mich, mich darauf einzulassen. Ich war mir sicher, dass es nur wieder um Geld gehen könne und hatte keine Ahnung, dass echte und ehrlich gemeinte Gastfreundschaft hinter den Angeboten stand. Zudem waren wir äußerst erschöpft und sehnten uns in diesem Moment nach Ruhe. Es war die Sonne alleine, die in dieser Situation als roter Feuerball nur wenige Meter über dem Horizont der flachen Ebene stand, welche die Entscheidung für uns traf. Es war zu spät dafür noch irgendwo anders hinzukommen und so willigten wir ein. Wie sich herausstellen sollte, war es das Beste, was hätte passieren können.
Unverzüglich geleitete man uns am späten Montagnachmittag vom Eingang der kleinen Siedlung Bardieh Kutschek zum Haus unseres neuen Gastgebers Sayyid Akif*. In dem eingeschossigen Domizil wurde uns ein geräumiges Zimmer zugeteilt. Von nun an trudelten immer mehr Menschen, vorrangig junge Männer oder Kinder, ein, waren ganz aufgeregt über den unerwarteten Besuch aus einem so fernen Land und begrüßten uns euphorisch. Zunächst gab Sayyid Sharif* sein Bestes, um ein wenig zu übersetzen. Überschwänglich schwärmten unsere Gastgeber von Deutschland, outeten sich als Fans unserer Fußball-Nationalmannschaft und nannten ihre Lieblingsspieler. Einige äußerten sogar den Wunsch nach Deutschland auszuwandern. Natürlich wurden wir auch interessiert ausgefragt über das Leben in unserer Heimat. Sie wollten zum Beispiel wissen, wie das Studieren in Deutschland funktioniert, welche Religionen es bei uns gibt oder auch wie wir das Geld für so eine lange Reise ansparen konnten.
Kurz vor dem Abendessen traf Ahmad* ein. Als Englischlehrer war der aufgeweckte, junge Mann eine große Hilfe dabei zu kommunizieren. Schnell wurde klar, dass sich die gesamte Großfamilie und damit die Hälfte des Dorfes bei Sayyid Akif* versammelte. So saßen Cousins, Neffen oder Onkel von ihm in der Runde. Ebenso deutlich wurde, dass unsere warmherzigen Gastgeber einen eher konservativen Lebensstil pflegen. Der Islam nimmt in dem schiitischen Haushalt eine große Rolle ein. Kurz nach dem Eintreffen, als die Sonne untergegangen war, wuschen sich die Familienmitglieder im Gesicht sowie an Händen und Füßen. Einer nach dem anderen breitete dann vor uns einen Gebetsteppich aus und sandte für drei oder vier Minuten einige Worte in Richtung Mekka. Die Geschlechterrollen sind klar verteilt. Frauen haben sich um den Haushalt zu kümmern und das Essen zuzubereiten. Männer verlassen das Haus und gehen arbeiten. Sie stehen der Familie vor und vertreten sie nach außen hin. Auf das Tragen des Hidschabs, also des islamischen Kopftuches, wird auch von den Frauen selber großer Wert gelegt.
Wie schon als wir in Abadan durch die Straßen liefen hörten wir auch in Bardieh kaum einen Satz auf Farsi. Die Familie von Sayyid Akif* gehört zur arabischsprechenden Minderheit im Iran, die in der Provinz Chuzestan einen großen Anteil der Bevölkerung stellt. Wir konnten viele interessante Details der Traditionen und Bräuche dieser Region miterleben. Betritt ein neuer Gast den Raum, dann spricht er zur Begrüßung „Salam `aleikum“, was frei übersetzt ungefähr „Friede sei mit dir/euch“ bedeutet. Die Anwesenden antworten darauf mit „`aleiki salam“. Unter den Männern ist es üblich sich die Hand zu geben, einen Kuss auf die linke Wange auszutauschen und danach sich mit der rechten Schulter zu berühren. Ein Handschlag zwischen Mann und Frau ist nur dann gestattet, wenn sich die zwei nicht heiraten können, sprich wenn es sich um Geschwister, Kinder, Neffen, Enkel, Onkel, Tanten, Eltern oder Großeltern handelt. Schon zwischen Cousinen und Cousins ist eine Trauung möglich und darüber hinaus alles andere als unüblich.
Auch aus kulinarischer Sicht gab es viele Besonderheiten. Ihren Tee trinken viele Araber, indem sie den Inhalt ihres kleinen Glases zunächst auf den Untersetzer gießen und dann daraus schlürfen. Kaffee wird in sehr kleinen Portionen aus einer Dalleh, einer bauchigen Schnabelkanne, serviert. Er ist sehr bitter und äußerst stark. Wenn man nachgeschenkt bekommen möchte, reicht man seine Tasse einfach dem Dalleh-Träger zurück. Hat man genug, so kippt man die Tasse während der Rückgabe hin und her. Zum Frühstück konnten wir dabei zusehen, wie die Frau unseres Gastgebers ein traditionelles Fladenbrot aus Reismehl backte. Zusammen mit frischem Weichkäse und Rührei schmeckte es sehr lecker.
Drei Tage bevor wir in Bardieh eintrafen, hatten zwei Dorfbewohner geheiratet. Den Bräuchen folgend luden Braut und Bräutigam an den sieben Abenden nach der Hochzeit zu sich nach hause [sic!] ein. Auch wir statteten ihnen am Montag einen kurzen Besuch ab und mussten uns schon an der Eingangstür trennen. Alex ging zusammen mit den Frauen in ein Zimmer, ich setzte mich in eine reine Herren-Runde im Nebenraum. Bis zu 36 Männer jeglichen Alters saßen in einem großen Kreis auf dem Teppichboden, unterhielten sich untereinander oder stellten mir einige Fragen. Fast jeder wollte ein Foto mit mir machen. Ein Onkel aus Bagdad wurde per Videotelefonie dazu geschaltet und mir zum Gespräch hingehalten. Außerdem wurden mir Kekse und ein rotes Sirup-Getränk serviert, obwohl niemand sonst im Raum etwas hatte.
Sonst noch interessant: Das Wort Sayyid ist keineswegs ein Name, sondern ein unter schiitischen Muslimen geläufiger Ehrentitel, den ausschließlich männliche Nachfahren des Propheten Mohammed tragen dürfen.
Am Dienstag ließen es sich unsere Gastgeber nicht nehmen uns bis zu unserem nächsten Etappenziel Dezful zu fahren. Auf dem Weg stoppten wir bei zwei kleinen Hütten, in denen die Familien von zwei Brüdern Sayyid Akifs* über die kühleren Monate wohnen. Im Sommer, so sagte man uns, sei dort nur Wüste. Das war kaum zu glauben, denn der Regen der letzten Wochen hatte die Landschaft in eine grüne Wiese mit kleinen Hügeln verwandelt. Kühe und Schafe erfreuten sich an der frischen Nahrung. Wir genossen die Ruhe der Natur, spazierten im Schatten einiger Bäume umher und wurden zum Tee eingeladen. Spuren aus dem Iran-Irak-Krieg der 1980er Jahre hatten wir bereits in manchen Häuserfassaden Abadans entdeckt. Doch als uns einer der in ein weißes Gewand gekleideten Hirten eine nicht explodierte Fliegerbombe zeigte, von der nur der hintere Ring aus dem Gras heraus schaute, war ich doch etwas erschrocken.
Unseren letzten Zwischenstopp legten wir in Schusch, der Nachfolgestadt der historischen Siedlung Susa, ein. Hier befand sich vom 3. bis zum 1. Jahrtausend vor Christus das politische Zentrum des Reiches von Elam, einem Gegenspieler der Reiche von Babylon und Assyrien aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Es ging später im Persischen Reich auf und gilt vielen Iranern als Geburtsstätte ihrer Kultur. Der Prophet Daniel, ein jüdischer Traumdeuter und Namenspatron eines Buches des Tanach beziehungsweise des Alten Testaments, soll in Susa Zuflucht gefunden und dort im Exil gelebt haben. Sein Grabmal dient heute Muslimen als Pilgerstätte und konnte mich vor allem durch seine Außenansicht faszinieren. Ein weißer, spitz zulaufender Kegelturm ragt direkt über seinem Sarg aus dem Gebäude heraus. Er ist knapp 15m hoch und in waagerechten Abschnitten mit bauchigen Einkerbungen versehen, die ein regelmäßiges Muster entstehen lassen.
Unverzüglich geleitete man uns am späten Montagnachmittag vom Eingang der kleinen Siedlung Bardieh Kutschek zum Haus unseres neuen Gastgebers Sayyid Akif*. In dem eingeschossigen Domizil wurde uns ein geräumiges Zimmer zugeteilt. Von nun an trudelten immer mehr Menschen, vorrangig junge Männer oder Kinder, ein, waren ganz aufgeregt über den unerwarteten Besuch aus einem so fernen Land und begrüßten uns euphorisch. Zunächst gab Sayyid Sharif* sein Bestes, um ein wenig zu übersetzen. Überschwänglich schwärmten unsere Gastgeber von Deutschland, outeten sich als Fans unserer Fußball-Nationalmannschaft und nannten ihre Lieblingsspieler. Einige äußerten sogar den Wunsch nach Deutschland auszuwandern. Natürlich wurden wir auch interessiert ausgefragt über das Leben in unserer Heimat. Sie wollten zum Beispiel wissen, wie das Studieren in Deutschland funktioniert, welche Religionen es bei uns gibt oder auch wie wir das Geld für so eine lange Reise ansparen konnten.
Kurz vor dem Abendessen traf Ahmad* ein. Als Englischlehrer war der aufgeweckte, junge Mann eine große Hilfe dabei zu kommunizieren. Schnell wurde klar, dass sich die gesamte Großfamilie und damit die Hälfte des Dorfes bei Sayyid Akif* versammelte. So saßen Cousins, Neffen oder Onkel von ihm in der Runde. Ebenso deutlich wurde, dass unsere warmherzigen Gastgeber einen eher konservativen Lebensstil pflegen. Der Islam nimmt in dem schiitischen Haushalt eine große Rolle ein. Kurz nach dem Eintreffen, als die Sonne untergegangen war, wuschen sich die Familienmitglieder im Gesicht sowie an Händen und Füßen. Einer nach dem anderen breitete dann vor uns einen Gebetsteppich aus und sandte für drei oder vier Minuten einige Worte in Richtung Mekka. Die Geschlechterrollen sind klar verteilt. Frauen haben sich um den Haushalt zu kümmern und das Essen zuzubereiten. Männer verlassen das Haus und gehen arbeiten. Sie stehen der Familie vor und vertreten sie nach außen hin. Auf das Tragen des Hidschabs, also des islamischen Kopftuches, wird auch von den Frauen selber großer Wert gelegt.
Wie schon als wir in Abadan durch die Straßen liefen hörten wir auch in Bardieh kaum einen Satz auf Farsi. Die Familie von Sayyid Akif* gehört zur arabischsprechenden Minderheit im Iran, die in der Provinz Chuzestan einen großen Anteil der Bevölkerung stellt. Wir konnten viele interessante Details der Traditionen und Bräuche dieser Region miterleben. Betritt ein neuer Gast den Raum, dann spricht er zur Begrüßung „Salam `aleikum“, was frei übersetzt ungefähr „Friede sei mit dir/euch“ bedeutet. Die Anwesenden antworten darauf mit „`aleiki salam“. Unter den Männern ist es üblich sich die Hand zu geben, einen Kuss auf die linke Wange auszutauschen und danach sich mit der rechten Schulter zu berühren. Ein Handschlag zwischen Mann und Frau ist nur dann gestattet, wenn sich die zwei nicht heiraten können, sprich wenn es sich um Geschwister, Kinder, Neffen, Enkel, Onkel, Tanten, Eltern oder Großeltern handelt. Schon zwischen Cousinen und Cousins ist eine Trauung möglich und darüber hinaus alles andere als unüblich.
Auch aus kulinarischer Sicht gab es viele Besonderheiten. Ihren Tee trinken viele Araber, indem sie den Inhalt ihres kleinen Glases zunächst auf den Untersetzer gießen und dann daraus schlürfen. Kaffee wird in sehr kleinen Portionen aus einer Dalleh, einer bauchigen Schnabelkanne, serviert. Er ist sehr bitter und äußerst stark. Wenn man nachgeschenkt bekommen möchte, reicht man seine Tasse einfach dem Dalleh-Träger zurück. Hat man genug, so kippt man die Tasse während der Rückgabe hin und her. Zum Frühstück konnten wir dabei zusehen, wie die Frau unseres Gastgebers ein traditionelles Fladenbrot aus Reismehl backte. Zusammen mit frischem Weichkäse und Rührei schmeckte es sehr lecker.
Drei Tage bevor wir in Bardieh eintrafen, hatten zwei Dorfbewohner geheiratet. Den Bräuchen folgend luden Braut und Bräutigam an den sieben Abenden nach der Hochzeit zu sich nach hause [sic!] ein. Auch wir statteten ihnen am Montag einen kurzen Besuch ab und mussten uns schon an der Eingangstür trennen. Alex ging zusammen mit den Frauen in ein Zimmer, ich setzte mich in eine reine Herren-Runde im Nebenraum. Bis zu 36 Männer jeglichen Alters saßen in einem großen Kreis auf dem Teppichboden, unterhielten sich untereinander oder stellten mir einige Fragen. Fast jeder wollte ein Foto mit mir machen. Ein Onkel aus Bagdad wurde per Videotelefonie dazu geschaltet und mir zum Gespräch hingehalten. Außerdem wurden mir Kekse und ein rotes Sirup-Getränk serviert, obwohl niemand sonst im Raum etwas hatte.
Sonst noch interessant: Das Wort Sayyid ist keineswegs ein Name, sondern ein unter schiitischen Muslimen geläufiger Ehrentitel, den ausschließlich männliche Nachfahren des Propheten Mohammed tragen dürfen.
Am Dienstag ließen es sich unsere Gastgeber nicht nehmen uns bis zu unserem nächsten Etappenziel Dezful zu fahren. Auf dem Weg stoppten wir bei zwei kleinen Hütten, in denen die Familien von zwei Brüdern Sayyid Akifs* über die kühleren Monate wohnen. Im Sommer, so sagte man uns, sei dort nur Wüste. Das war kaum zu glauben, denn der Regen der letzten Wochen hatte die Landschaft in eine grüne Wiese mit kleinen Hügeln verwandelt. Kühe und Schafe erfreuten sich an der frischen Nahrung. Wir genossen die Ruhe der Natur, spazierten im Schatten einiger Bäume umher und wurden zum Tee eingeladen. Spuren aus dem Iran-Irak-Krieg der 1980er Jahre hatten wir bereits in manchen Häuserfassaden Abadans entdeckt. Doch als uns einer der in ein weißes Gewand gekleideten Hirten eine nicht explodierte Fliegerbombe zeigte, von der nur der hintere Ring aus dem Gras heraus schaute, war ich doch etwas erschrocken.
Unseren letzten Zwischenstopp legten wir in Schusch, der Nachfolgestadt der historischen Siedlung Susa, ein. Hier befand sich vom 3. bis zum 1. Jahrtausend vor Christus das politische Zentrum des Reiches von Elam, einem Gegenspieler der Reiche von Babylon und Assyrien aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Es ging später im Persischen Reich auf und gilt vielen Iranern als Geburtsstätte ihrer Kultur. Der Prophet Daniel, ein jüdischer Traumdeuter und Namenspatron eines Buches des Tanach beziehungsweise des Alten Testaments, soll in Susa Zuflucht gefunden und dort im Exil gelebt haben. Sein Grabmal dient heute Muslimen als Pilgerstätte und konnte mich vor allem durch seine Außenansicht faszinieren. Ein weißer, spitz zulaufender Kegelturm ragt direkt über seinem Sarg aus dem Gebäude heraus. Er ist knapp 15m hoch und in waagerechten Abschnitten mit bauchigen Einkerbungen versehen, die ein regelmäßiges Muster entstehen lassen.
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Michael

liebt es zu reisen und dabei die Welt zu beobachten. Während er unterwegs ist, tauscht er alle Hobbies gegen eines ein: Journal führen. Mit exzessiver Akribie malt er stundenlang Karten, gestaltet Übersichts-Tabellen und schreibt Erlebtes nieder.

* Damit ich niemanden in ernsthafte Probleme bringe, habe ich die mit * markierten Personen pseudonymisiert.

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… und sehe mich als abenteuerfreudigen und neugierigen Reisenden. Dabei faszinieren mich ganz besonders Begegnungen bei der Fahrt per Anhalter, Navigation mit Karte und Grenzübertritte jeder Art.
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