Grabstein im grünen Hügelmeer

Grabstein im grünen Hügelmeer

Journal

Es ist schon verrückt und erstaunlich wie vielfältig der Iran ist. Meinen Eintrag schreibe ich, während ich in einer Jurte sitze. In dem traditionellen Zelt dieser Region haben wir unser Lager für diese Nacht aufgeschlagen. Und so fällt mein Blick in einen großen, ungefähr 6m breiten und kreisrunden Raum, der fast gänzlich mit rot-braunen Filzmatten ausgelegt ist. Die Wand aus beigefarbener Kamelwolle wird von diagonal zueinander verlaufenden Holzstreben getragen. Mannshoch verläuft sie beinahe senkrecht nach oben bevor sie sich nach innen beugt und zu einem flachen Gewölbe zusammenläuft. Es riecht stark nach Rauch und nahe der Eingangstür flimmert noch etwas Glut vom bereits erloschenen Feuer. Draußen ist es kalt, vermutlich um 0℃, und äußerst feucht.
Nachdem wir im Nordwesten des Landes rund um Tabriz im Gebiet der Azeri unterwegs waren, treffen wir hier im Nordosten des Iran auf ein weiteres turksprachiges Volk, die Turkmenen. Erneut funktionieren Wörter wie „doydum“ (= ich bin satt), „küçük“ (= klein), „sağ ol“ (=danke) oder auch die Zahlen, die wir in der Türkei gelernt hatten. Gelandet sind wir heute in Gatschi Su e Bala, […] das fernab jeder Hauptstraße in idyllischer Abgeschiedenheit liegt. Hier leben deutlich mehr Schafe und Kühe als Menschen und bei einem kurzen Spaziergang durch die vom Regen der letzten Tage aufgeweichten Sandwege wurden wir von dem ein oder anderen Wachhund kritisch beäugt oder gar aggressiv angebellt.
So interessant und besonders der Schlafplatz in der gemütlichen Jurte ist, so fabel- und märchenhaft sah die Landschaft aus, die wir auf dem Weg hierher durchkreuzten. Als wir ungefähr 30km vor unserem Ziel zum letzten Mal in Richtung Norden abbogen, brach die zuvor so flache Ebene plötzlich auf und gab Platz für niedrige, äußerst seicht verlaufende Hügel, die sich sanft und ohne viel Aufsehen zu erregen durch das Panorama schwangen. Das gesamte Gebiet ist zweigeteilt in Abschnitte in den Tälern, die gerade so flach sind, dass dort Landwirtschaft betrieben werden kann, und in die Spitzen der Erhebungen, die zu steil dafür sind. Im dort wachsenden Gras verlaufen in kleinen und regelmäßigen Abständen die Trampelpfade der heimischen Schafs- und Rinderherden. So wirkt es ganz als ob die Hügel aus vielen dünnen Scheiben zusammengesetzt wurden. Im Gesamteindruck strahlte die Landschaft eine friedliche und sehr ruhige Atmosphäre aus.
[…] Die [An-] Reise gestaltete sich wie im Iran gewohnt ereignisreich und kompliziert. Aus dem ersten innerstädtischen Taxi ausgestiegen, gerieten wir in ein hektisches Handgemenge aufgeregter Taxi-Fahrer. Überhaupt einen Preis zu erfragen, bevor die Tasche schon im Kofferraum eines der gelben Fahrzeuge lag, war schwer und klappte erst nach beharrlichem Nachfragen. Im Zentrum der Provinzhauptstadt Gonbad-e Kavus lernten wir Danish* kennen. Der 27jährige lud uns in das kleine Stoff-Geschäft ein, in dem er seit vier Jahren arbeitet und erzählte uns ganz begeistert von seinem Besuch eines in Nürnberg lebenden Cousins vor einem Jahr.
Natürlich ist auch Danish* nicht immun gegen diesen im ganzen Land umhergehenden Wahn, uns als Gästen jeden nur erdenklichen Wunsch erfüllen zu wollen und sich von dieser Mission unter keinen Umständen abbringen zu lassen. Wie so viele vor ihm bot der sympathische, junge Mann uns einen Schlafplatz in seiner Wohnung an. Als wir erklärten, dass wir zunächst nach Gatschi Su e Bala möchte, fackelte Danish* nicht lange, bezahlte ein Taxi zu seinem Apartment, ließ uns in sein Auto einsteigen und fuhr uns „mal eben“ bis zur Jurtenpension, ein 85km weiter Weg, für den wir in eine Richtung eineinhalb Stunden brauchten. Es ist jeden Tag wieder aufs Neue der absolute Wahnsinn, was wir hier erleben.
Es ist schon verrückt und erstaunlich wie vielfältig der Iran ist. Meinen Eintrag schreibe ich, während ich in einer Jurte sitze. In dem traditionellen Zelt dieser Region haben wir unser Lager für diese Nacht aufgeschlagen. Und so fällt mein Blick in einen großen, ungefähr 6m breiten und kreisrunden Raum, der fast gänzlich mit rot-braunen Filzmatten ausgelegt ist. Die Wand aus beigefarbener Kamelwolle wird von diagonal zueinander verlaufenden Holzstreben getragen. Mannshoch verläuft sie beinahe senkrecht nach oben bevor sie sich nach innen beugt und zu einem flachen Gewölbe zusammenläuft. Es riecht stark nach Rauch und nahe der Eingangstür flimmert noch etwas Glut vom bereits erloschenen Feuer. Draußen ist es kalt, vermutlich um 0℃, und äußerst feucht.
Nachdem wir im Nordwesten des Landes rund um Tabriz im Gebiet der Azeri unterwegs waren, treffen wir hier im Nordosten des Iran auf ein weiteres turksprachiges Volk, die Turkmenen. Erneut funktionieren Wörter wie „doydum“ (= ich bin satt), „küçük“ (= klein), „sağ ol“ (=danke) oder auch die Zahlen, die wir in der Türkei gelernt hatten. Gelandet sind wir heute in Gatschi Su e Bala, […] das fernab jeder Hauptstraße in idyllischer Abgeschiedenheit liegt. Hier leben deutlich mehr Schafe und Kühe als Menschen und bei einem kurzen Spaziergang durch die vom Regen der letzten Tage aufgeweichten Sandwege wurden wir von dem ein oder anderen Wachhund kritisch beäugt oder gar aggressiv angebellt.
So interessant und besonders der Schlafplatz in der gemütlichen Jurte ist, so fabel- und märchenhaft sah die Landschaft aus, die wir auf dem Weg hierher durchkreuzten. Als wir ungefähr 30km vor unserem Ziel zum letzten Mal in Richtung Norden abbogen, brach die zuvor so flache Ebene plötzlich auf und gab Platz für niedrige, äußerst seicht verlaufende Hügel, die sich sanft und ohne viel Aufsehen zu erregen durch das Panorama schwangen. Das gesamte Gebiet ist zweigeteilt in Abschnitte in den Tälern, die gerade so flach sind, dass dort Landwirtschaft betrieben werden kann, und in die Spitzen der Erhebungen, die zu steil dafür sind. Im dort wachsenden Gras verlaufen in kleinen und regelmäßigen Abständen die Trampelpfade der heimischen Schafs- und Rinderherden. So wirkt es ganz als ob die Hügel aus vielen dünnen Scheiben zusammengesetzt wurden. Im Gesamteindruck strahlte die Landschaft eine friedliche und sehr ruhige Atmosphäre aus.
[…] Die [An-] Reise gestaltete sich wie im Iran gewohnt ereignisreich und kompliziert. Aus dem ersten innerstädtischen Taxi ausgestiegen, gerieten wir in ein hektisches Handgemenge aufgeregter Taxi-Fahrer. Überhaupt einen Preis zu erfragen, bevor die Tasche schon im Kofferraum eines der gelben Fahrzeuge lag, war schwer und klappte erst nach beharrlichem Nachfragen. Im Zentrum der Provinzhauptstadt Gonbad-e Kavus lernten wir Danish* kennen. Der 27jährige lud uns in das kleine Stoff-Geschäft ein, in dem er seit vier Jahren arbeitet und erzählte uns ganz begeistert von seinem Besuch eines in Nürnberg lebenden Cousins vor einem Jahr.
Natürlich ist auch Danish* nicht immun gegen diesen im ganzen Land umhergehenden Wahn, uns als Gästen jeden nur erdenklichen Wunsch erfüllen zu wollen und sich von dieser Mission unter keinen Umständen abbringen zu lassen. Wie so viele vor ihm bot der sympathische, junge Mann uns einen Schlafplatz in seiner Wohnung an. Als wir erklärten, dass wir zunächst nach Gatschi Su e Bala möchte, fackelte Danish* nicht lange, bezahlte ein Taxi zu seinem Apartment, ließ uns in sein Auto einsteigen und fuhr uns „mal eben“ bis zur Jurtenpension, ein 85km weiter Weg, für den wir in eine Richtung eineinhalb Stunden brauchten. Es ist jeden Tag wieder aufs Neue der absolute Wahnsinn, was wir hier erleben.
Welch faszinierende und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Landschaft wir heute in vollen Zügen genießen konnten! Die seichten Erhebungen, von denen ich gestern bereits so schwärmte, umgaben uns, während wir auf schmalen Trampelpfaden oder matschigen Wegen durch das Gelände wanderten. […] Von oben betrachtet sahen die Erhebungen so harmonisch aus, dass sie wie Dünen wirkten und wir uns wie in einer bis zum Horizont reichenden, grünen Wüste fühlten.
Als wir den Zielpunkt unserer Wanderung erreicht hatten, brach die Landschaft gen Norden hin erneut mit sich selbst. Ein rasanter Abstieg markierte den Beginn einer geschätzt 500m tiefer gelegenen Ebene. Gespickt mit vielen kleinen, charaktervollen Zacken, die wie dutzende braune Sahnetupferl die Fläche dekorierten, erstreckte sie sich in ungeahnte Weiten und schien sich dabei in der Unendlichkeit zu verlieren. Wir konnten große Schafsherden erkennen, die von ihren Hirten umhergetrieben wurden, und in der Ferne, irgendwo kurz vor dem Horizont, blickten wir auf Turkmenistan.
Auch wenn diese wahnsinnig schönen und unerwartet spektakulären Eindrücke aus der Natur alles andere in den Schatten stellten, konnte uns auch das Ausflugsziel begeistern. Am Schrein des Chaled Nabi, Namensgeber der gesamten Stätte, wird um einen arabischen Geistlichen getrauert. Viel interessanter war jedoch der umliegende Friedhof, der entstand, lange bevor sich hier eine der Buchreligionen durchsetzen konnte. Auf einem grünen Hang stehen in unregelmäßigen Abständen große, teils über 2m hohe Steelen [sic!] aus Stein, die [an menschliche …] Geschlechtsorgane [erinnern …]. Vor dem bereits beschriebenen Hintergrund ergaben sich vor allem im Licht der tiefer stehenden Sonne wirklich epische Motive.
Weil es uns heute so umgehauen hat, durch diese Gegend zu wandern, und auch weil die Wettervorhersage noch einmal Sonne prognostiziert, haben wir uns bereits entschieden, um eine Nacht zu verlängern und den Heiligen Abend in dieser abgeschiedenen und friedlichen Region zu verbringen. Weihnachtstelefonate müssen dann warten. Eine Internetverbindung oder stabilen Handyempfang haben wir hier nämlich nicht.
Welch faszinierende und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Landschaft wir heute in vollen Zügen genießen konnten! Die seichten Erhebungen, von denen ich gestern bereits so schwärmte, umgaben uns, während wir auf schmalen Trampelpfaden oder matschigen Wegen durch das Gelände wanderten. […] Von oben betrachtet sahen die Erhebungen so harmonisch aus, dass sie wie Dünen wirkten und wir uns wie in einer bis zum Horizont reichenden, grünen Wüste fühlten.
Als wir den Zielpunkt unserer Wanderung erreicht hatten, brach die Landschaft gen Norden hin erneut mit sich selbst. Ein rasanter Abstieg markierte den Beginn einer geschätzt 500m tiefer gelegenen Ebene. Gespickt mit vielen kleinen, charaktervollen Zacken, die wie dutzende braune Sahnetupferl die Fläche dekorierten, erstreckte sie sich in ungeahnte Weiten und schien sich dabei in der Unendlichkeit zu verlieren. Wir konnten große Schafsherden erkennen, die von ihren Hirten umhergetrieben wurden, und in der Ferne, irgendwo kurz vor dem Horizont, blickten wir auf Turkmenistan.
Auch wenn diese wahnsinnig schönen und unerwartet spektakulären Eindrücke aus der Natur alles andere in den Schatten stellten, konnte uns auch das Ausflugsziel begeistern. Am Schrein des Chaled Nabi, Namensgeber der gesamten Stätte, wird um einen arabischen Geistlichen getrauert. Viel interessanter war jedoch der umliegende Friedhof, der entstand, lange bevor sich hier eine der Buchreligionen durchsetzen konnte. Auf einem grünen Hang stehen in unregelmäßigen Abständen große, teils über 2m hohe Steelen [sic!] aus Stein, die [an menschliche …] Geschlechtsorgane [erinnern …]. Vor dem bereits beschriebenen Hintergrund ergaben sich vor allem im Licht der tiefer stehenden Sonne wirklich epische Motive.
Weil es uns heute so umgehauen hat, durch diese Gegend zu wandern, und auch weil die Wettervorhersage noch einmal Sonne prognostiziert, haben wir uns bereits entschieden, um eine Nacht zu verlängern und den Heiligen Abend in dieser abgeschiedenen und friedlichen Region zu verbringen. Weihnachtstelefonate müssen dann warten. Eine Internetverbindung oder stabilen Handyempfang haben wir hier nämlich nicht.

Das beständige, laute Ächzen eines vor Schmerzen zusammengekrümmten Mann[es] im Bett neben mir, die offene Schnittwunde am Arm einer schwangeren Frau vor mir oder auch das von Erbrochenem übersäte Bettlaken schräg gegenüber. All das waren Eindrücke in der Notaufnahme des Krankenhauses in Kalaleh, die ich vorgestern Abend, also am Heiligen Abend, eher unfreiwillig sammelte. In dem etwas behilfsmäßig [sic!] zusammengeschusterten Zimmer war Platz für sieben Betten; die blauen Sichtschutzvorhänge blieben in dem hektischen Treiben häufig geöffnet. Die Ärzte und Schwestern hatten viel zu tun und ich konnte live miterleben, wie der Arm vor mir genäht und der stöhnende Herr neben mir über seine Nase mit Brechmittel versorgt wurde. Später trat noch eine uralte Dame in gebeugtem Gang ein und klagte mit rauchiger Stimme über ihr Leid. Auch ich wurde nach und nach versorgt, bekam eine aufpeppelnde Kochsalzlösung verabreicht und wurde zum Blut- sowie zum Urintest und danach zum Röntgen gebeten. Glücklicherweise blieben die Untersuchungen ohne Befund, sodass es bei der Diagnose einer leichten Gehirnerschütterung blieb und ich das Krankenhaus nach ungefähr zwei Stunden wieder verlassen konnte.

Am Vormittag desselben Tages waren Xändi und ich frohen Mutes zu einem gemeinsamen Ausflug mit Sale, dem äußerst sympathischen Gastgeber der Jurten-Pension, aufgebrochen. Zunächst besuchten wir seinen Bauernhof, streichelten kleine Ziegen und bestaunten zwei ausgewachsene Kamele. Ziemlich bald standen zwei Pferde für uns parat und über die Steigbügel schwangen wir uns zum ersten Mal überhaupt in unserem Leben auf den Sattel eines Rosses. In gemütlichem Trab durchquerten wir eine wunderschöne Schlucht und waren erneut umgeben von diesen einzigartigen Hügeln. Nur der von Xändi berittene Schimmel wollte nicht so ganz gehorchen, neigte immer wieder seinen Kopf herunter zum Gras und brach einmal sogar aus, beschleunigte unerwartet schnell und ließ sich von der etwas in Panik geratenen Alex nicht mehr kontrollieren. Erst die steile Wand der Schlucht konnte es zum Stoppen bewegen.
Als wir die Kuppe eines Hanges und damit unseren Rastplatz für die Mittagspause erreicht hatten, führte Sale uns seine Reitkunst vor und gab uns erneut einige Tips [sic!] zum Bedienen der Zügel – ohne gemeinsame Sprache war es jedoch nicht ganz leicht, alles zu verstehen. Nun wollte ich ausprobieren, schwang mich auf das weiße Ross, das vorher noch von Xändi beritten worden war. Ganz alleine wagte ich mich in langsamen Schritten entlang des Kammes bis zum höchsten Punkt der Umgebung vor und genoss das wahnsinnige Panorama, während ich auf dem Rücken des Pferdes saß. Da ich bereits etwas Vertrauen gefasst hatte, wurde ich auf dem gerade einmal 200m weiten Rückweg etwas mutiger, wies dem Schimmel mit einigen „Tschu“-Rufen und dem Zusammenschnalzen der Zügel an schneller zu werden. Die Trittfrequenz erhöhte sich, ich spürte den stärker werdenden Gegenwind in meinem Gesicht. Und plötzlich, ohne dass ich es gewollt hatte, hob das Pferd ab – wir waren im Galopp und rasten fortan mit hoher Geschwindigkeit über die Hügelkette. Ich war entsetzt und begeistert zugleich. Doch genau in dem Moment, als ich mir darüber Gedanken machte, gleich bremsen zu müssen, merkte ich, wie mein Sattel nach links wegrutschte. In Schieflage geraten hatte ich noch genau einen Sprung des Schimmels Zeit festzustellen, wie misslich meine Lage war. Beim darauf folgenden Aufsetzen war es um mich geschehen. Die Kräfte rissen mich vom Pferd und ich fiel zu Boden, schlug dort zuerst mit dem Rücken und dann mit dem Hinterkopf auf.
Das Augenflimmern legte sich nach einer halben Stunde wieder. Die Kopfschmerzen blieben jedoch und nach etwa einer Stunde setzte eine immer schlimmer werdende Übelkeit ein, sodass irgendwann die Entscheidung gefällt wurde, mich ins 50km entfernte Kalaleh zu bringen. In einem Affenzahn sauste Sale durch die kurvige Strecke und übergab mich auf der Hälfte des Weges an den entgegeneilenden Krankenwagen – eine etwas übertriebene Aktion. Auf der Liege des Ambulanz-Fahrzeuges wurde mein Blutdruck und Puls gemessen, bevor ich eine Sauerstoffmaske aufgesetzt bekam und danach in ein etwas skurriles Gespräch mit dem Sanitäter verwickelt wurde. Er fragte mich über meine Reise und über meine Lebenspläne aus und bat mich am Ende der Fahrt tatsächlich um ein gemeinsames Selfie.
Gestern chauffierte uns Sale, dem der ganze Unfall sichtlich leid tat, bis nach Gonbad, lud uns in einem feinen Restaurant zum Mittagessen ein und setzte uns vor der Wohnungstür von Danishs* Familie ab. Beim Geld wurde es mal wieder kompliziert. Denn für die Behandlung im Krankenhaus, die er bezahlt hatte, wollte er keinen Cent von uns wieder sehen. Das wäre seine Pflicht als Gastgeber gewesen und so blieb es beim vereinbarten Preis für die Unterkunft.

Das beständige, laute Ächzen eines vor Schmerzen zusammengekrümmten Mann[es] im Bett neben mir, die offene Schnittwunde am Arm einer schwangeren Frau vor mir oder auch das von Erbrochenem übersäte Bettlaken schräg gegenüber. All das waren Eindrücke in der Notaufnahme des Krankenhauses in Kalaleh, die ich vorgestern Abend, also am Heiligen Abend, eher unfreiwillig sammelte. In dem etwas behilfsmäßig [sic!] zusammengeschusterten Zimmer war Platz für sieben Betten; die blauen Sichtschutzvorhänge blieben in dem hektischen Treiben häufig geöffnet. Die Ärzte und Schwestern hatten viel zu tun und ich konnte live miterleben, wie der Arm vor mir genäht und der stöhnende Herr neben mir über seine Nase mit Brechmittel versorgt wurde. Später trat noch eine uralte Dame in gebeugtem Gang ein und klagte mit rauchiger Stimme über ihr Leid. Auch ich wurde nach und nach versorgt, bekam eine aufpeppelnde Kochsalzlösung verabreicht und wurde zum Blut- sowie zum Urintest und danach zum Röntgen gebeten. Glücklicherweise blieben die Untersuchungen ohne Befund, sodass es bei der Diagnose einer leichten Gehirnerschütterung blieb und ich das Krankenhaus nach ungefähr zwei Stunden wieder verlassen konnte.

Am Vormittag desselben Tages waren Xändi und ich frohen Mutes zu einem gemeinsamen Ausflug mit Sale, dem äußerst sympathischen Gastgeber der Jurten-Pension, aufgebrochen. Zunächst besuchten wir seinen Bauernhof, streichelten kleine Ziegen und bestaunten zwei ausgewachsene Kamele. Ziemlich bald standen zwei Pferde für uns parat und über die Steigbügel schwangen wir uns zum ersten Mal überhaupt in unserem Leben auf den Sattel eines Rosses. In gemütlichem Trab durchquerten wir eine wunderschöne Schlucht und waren erneut umgeben von diesen einzigartigen Hügeln. Nur der von Xändi berittene Schimmel wollte nicht so ganz gehorchen, neigte immer wieder seinen Kopf herunter zum Gras und brach einmal sogar aus, beschleunigte unerwartet schnell und ließ sich von der etwas in Panik geratenen Alex nicht mehr kontrollieren. Erst die steile Wand der Schlucht konnte es zum Stoppen bewegen.
Als wir die Kuppe eines Hanges und damit unseren Rastplatz für die Mittagspause erreicht hatten, führte Sale uns seine Reitkunst vor und gab uns erneut einige Tips [sic!] zum Bedienen der Zügel – ohne gemeinsame Sprache war es jedoch nicht ganz leicht, alles zu verstehen. Nun wollte ich ausprobieren, schwang mich auf das weiße Ross, das vorher noch von Xändi beritten worden war. Ganz alleine wagte ich mich in langsamen Schritten entlang des Kammes bis zum höchsten Punkt der Umgebung vor und genoss das wahnsinnige Panorama, während ich auf dem Rücken des Pferdes saß. Da ich bereits etwas Vertrauen gefasst hatte, wurde ich auf dem gerade einmal 200m weiten Rückweg etwas mutiger, wies dem Schimmel mit einigen „Tschu“-Rufen und dem Zusammenschnalzen der Zügel an schneller zu werden. Die Trittfrequenz erhöhte sich, ich spürte den stärker werdenden Gegenwind in meinem Gesicht. Und plötzlich, ohne dass ich es gewollt hatte, hob das Pferd ab – wir waren im Galopp und rasten fortan mit hoher Geschwindigkeit über die Hügelkette. Ich war entsetzt und begeistert zugleich. Doch genau in dem Moment, als ich mir darüber Gedanken machte, gleich bremsen zu müssen, merkte ich, wie mein Sattel nach links wegrutschte. In Schieflage geraten hatte ich noch genau einen Sprung des Schimmels Zeit festzustellen, wie misslich meine Lage war. Beim darauf folgenden Aufsetzen war es um mich geschehen. Die Kräfte rissen mich vom Pferd und ich fiel zu Boden, schlug dort zuerst mit dem Rücken und dann mit dem Hinterkopf auf.
Das Augenflimmern legte sich nach einer halben Stunde wieder. Die Kopfschmerzen blieben jedoch und nach etwa einer Stunde setzte eine immer schlimmer werdende Übelkeit ein, sodass irgendwann die Entscheidung gefällt wurde, mich ins 50km entfernte Kalaleh zu bringen. In einem Affenzahn sauste Sale durch die kurvige Strecke und übergab mich auf der Hälfte des Weges an den entgegeneilenden Krankenwagen – eine etwas übertriebene Aktion. Auf der Liege des Ambulanz-Fahrzeuges wurde mein Blutdruck und Puls gemessen, bevor ich eine Sauerstoffmaske aufgesetzt bekam und danach in ein etwas skurriles Gespräch mit dem Sanitäter verwickelt wurde. Er fragte mich über meine Reise und über meine Lebenspläne aus und bat mich am Ende der Fahrt tatsächlich um ein gemeinsames Selfie.
Gestern chauffierte uns Sale, dem der ganze Unfall sichtlich leid tat, bis nach Gonbad, lud uns in einem feinen Restaurant zum Mittagessen ein und setzte uns vor der Wohnungstür von Danishs* Familie ab. Beim Geld wurde es mal wieder kompliziert. Denn für die Behandlung im Krankenhaus, die er bezahlt hatte, wollte er keinen Cent von uns wieder sehen. Das wäre seine Pflicht als Gastgeber gewesen und so blieb es beim vereinbarten Preis für die Unterkunft.
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Michael

liebt es zu reisen und dabei die Welt zu beobachten. Während er unterwegs ist, tauscht er alle Hobbies gegen eines ein: Journal führen. Mit exzessiver Akribie malt er stundenlang Karten, gestaltet Übersichts-Tabellen und schreibt Erlebtes nieder.

* Damit ich niemanden in ernsthafte Probleme bringe, habe ich die mit * markierten Personen pseudonymisiert.

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Hey, ich bin Michael...

… und sehe mich als abenteuerfreudigen und neugierigen Reisenden. Dabei faszinieren mich ganz besonders Begegnungen bei der Fahrt per Anhalter, Navigation mit Karte und Grenzübertritte jeder Art.
Fast täglich schreibe ich auf diesen Reisen mit großer Hingabe in ein Journal. Mit meiner Kamera halte ich besondere Momente als Foto fest.

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Launch der digitalen Ausstellung

Zeitgleich mit dem Beginn der analogen Ausstellung in der TurnVilla, startet heute auch die digitale Ausstellung auf dieser Website. Ab

Die Ausstellung ist eröffnet!

Seit heute sind die 11 Motive dieser Foto-Ausstellung in der TurnVilla des TV Emsdetten zu sehen! Außerdem hängen dort die

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Es ist schon verrückt und erstaunlich wie vielfältig der Iran ist. Meinen Eintrag schreibe ich, während ich in einer Jurte sitze. In dem traditionellen Zelt dieser Region haben wir unser Lager für diese Nacht aufgeschlagen. Und so fällt mein Blick in einen großen, ungefähr 6m breiten und kreisrunden Raum, der fast gänzlich mit rot-braunen Filzmatten ausgelegt ist. Die Wand aus beigefarbener Kamelwolle wird von diagonal zueinander verlaufenden Holzstreben getragen. Mannshoch verläuft sie beinahe senkrecht nach oben bevor sie sich nach innen beugt und zu einem flachen Gewölbe zusammenläuft. Es riecht stark nach Rauch und nahe der Eingangstür flimmert noch etwas Glut vom bereits erloschenen Feuer. Draußen ist es kalt, vermutlich um 0℃, und äußerst feucht.
Nachdem wir im Nordwesten des Landes rund um Tabriz im Gebiet der Azeri unterwegs waren, treffen wir hier im Nordosten des Iran auf ein weiteres turksprachiges Volk, die Turkmenen. Erneut funktionieren Wörter wie „doydum“ (= ich bin satt), „küçük“ (= klein), „sağ ol“ (=danke) oder auch die Zahlen, die wir in der Türkei gelernt hatten. Gelandet sind wir heute in Gatschi Su e Bala, […] das fernab jeder Hauptstraße in idyllischer Abgeschiedenheit liegt. Hier leben deutlich mehr Schafe und Kühe als Menschen und bei einem kurzen Spaziergang durch die vom Regen der letzten Tage aufgeweichten Sandwege wurden wir von dem ein oder anderen Wachhund kritisch beäugt oder gar aggressiv angebellt.
So interessant und besonders der Schlafplatz in der gemütlichen Jurte ist, so fabel- und märchenhaft sah die Landschaft aus, die wir auf dem Weg hierher durchkreuzten. Als wir ungefähr 30km vor unserem Ziel zum letzten Mal in Richtung Norden abbogen, brach die zuvor so flache Ebene plötzlich auf und gab Platz für niedrige, äußerst seicht verlaufende Hügel, die sich sanft und ohne viel Aufsehen zu erregen durch das Panorama schwangen. Das gesamte Gebiet ist zweigeteilt in Abschnitte in den Tälern, die gerade so flach sind, dass dort Landwirtschaft betrieben werden kann, und in die Spitzen der Erhebungen, die zu steil dafür sind. Im dort wachsenden Gras verlaufen in kleinen und regelmäßigen Abständen die Trampelpfade der heimischen Schafs- und Rinderherden. So wirkt es ganz als ob die Hügel aus vielen dünnen Scheiben zusammengesetzt wurden. Im Gesamteindruck strahlte die Landschaft eine friedliche und sehr ruhige Atmosphäre aus.
[…] Die [An-] Reise gestaltete sich wie im Iran gewohnt ereignisreich und kompliziert. Aus dem ersten innerstädtischen Taxi ausgestiegen, gerieten wir in ein hektisches Handgemenge aufgeregter Taxi-Fahrer. Überhaupt einen Preis zu erfragen, bevor die Tasche schon im Kofferraum eines der gelben Fahrzeuge lag, war schwer und klappte erst nach beharrlichem Nachfragen. Im Zentrum der Provinzhauptstadt Gonbad-e Kavus lernten wir Danish* kennen. Der 27jährige lud uns in das kleine Stoff-Geschäft ein, in dem er seit vier Jahren arbeitet und erzählte uns ganz begeistert von seinem Besuch eines in Nürnberg lebenden Cousins vor einem Jahr.
Natürlich ist auch Danish* nicht immun gegen diesen im ganzen Land umhergehenden Wahn, uns als Gästen jeden nur erdenklichen Wunsch erfüllen zu wollen und sich von dieser Mission unter keinen Umständen abbringen zu lassen. Wie so viele vor ihm bot der sympathische, junge Mann uns einen Schlafplatz in seiner Wohnung an. Als wir erklärten, dass wir zunächst nach Gatschi Su e Bala möchte, fackelte Danish* nicht lange, bezahlte ein Taxi zu seinem Apartment, ließ uns in sein Auto einsteigen und fuhr uns „mal eben“ bis zur Jurtenpension, ein 85km weiter Weg, für den wir in eine Richtung eineinhalb Stunden brauchten. Es ist jeden Tag wieder aufs Neue der absolute Wahnsinn, was wir hier erleben.
Es ist schon verrückt und erstaunlich wie vielfältig der Iran ist. Meinen Eintrag schreibe ich, während ich in einer Jurte sitze. In dem traditionellen Zelt dieser Region haben wir unser Lager für diese Nacht aufgeschlagen. Und so fällt mein Blick in einen großen, ungefähr 6m breiten und kreisrunden Raum, der fast gänzlich mit rot-braunen Filzmatten ausgelegt ist. Die Wand aus beigefarbener Kamelwolle wird von diagonal zueinander verlaufenden Holzstreben getragen. Mannshoch verläuft sie beinahe senkrecht nach oben bevor sie sich nach innen beugt und zu einem flachen Gewölbe zusammenläuft. Es riecht stark nach Rauch und nahe der Eingangstür flimmert noch etwas Glut vom bereits erloschenen Feuer. Draußen ist es kalt, vermutlich um 0℃, und äußerst feucht.
Nachdem wir im Nordwesten des Landes rund um Tabriz im Gebiet der Azeri unterwegs waren, treffen wir hier im Nordosten des Iran auf ein weiteres turksprachiges Volk, die Turkmenen. Erneut funktionieren Wörter wie „doydum“ (= ich bin satt), „küçük“ (= klein), „sağ ol“ (=danke) oder auch die Zahlen, die wir in der Türkei gelernt hatten. Gelandet sind wir heute in Gatschi Su e Bala, […] das fernab jeder Hauptstraße in idyllischer Abgeschiedenheit liegt. Hier leben deutlich mehr Schafe und Kühe als Menschen und bei einem kurzen Spaziergang durch die vom Regen der letzten Tage aufgeweichten Sandwege wurden wir von dem ein oder anderen Wachhund kritisch beäugt oder gar aggressiv angebellt.
So interessant und besonders der Schlafplatz in der gemütlichen Jurte ist, so fabel- und märchenhaft sah die Landschaft aus, die wir auf dem Weg hierher durchkreuzten. Als wir ungefähr 30km vor unserem Ziel zum letzten Mal in Richtung Norden abbogen, brach die zuvor so flache Ebene plötzlich auf und gab Platz für niedrige, äußerst seicht verlaufende Hügel, die sich sanft und ohne viel Aufsehen zu erregen durch das Panorama schwangen. Das gesamte Gebiet ist zweigeteilt in Abschnitte in den Tälern, die gerade so flach sind, dass dort Landwirtschaft betrieben werden kann, und in die Spitzen der Erhebungen, die zu steil dafür sind. Im dort wachsenden Gras verlaufen in kleinen und regelmäßigen Abständen die Trampelpfade der heimischen Schafs- und Rinderherden. So wirkt es ganz als ob die Hügel aus vielen dünnen Scheiben zusammengesetzt wurden. Im Gesamteindruck strahlte die Landschaft eine friedliche und sehr ruhige Atmosphäre aus.
[…] Die [An-] Reise gestaltete sich wie im Iran gewohnt ereignisreich und kompliziert. Aus dem ersten innerstädtischen Taxi ausgestiegen, gerieten wir in ein hektisches Handgemenge aufgeregter Taxi-Fahrer. Überhaupt einen Preis zu erfragen, bevor die Tasche schon im Kofferraum eines der gelben Fahrzeuge lag, war schwer und klappte erst nach beharrlichem Nachfragen. Im Zentrum der Provinzhauptstadt Gonbad-e Kavus lernten wir Danish* kennen. Der 27jährige lud uns in das kleine Stoff-Geschäft ein, in dem er seit vier Jahren arbeitet und erzählte uns ganz begeistert von seinem Besuch eines in Nürnberg lebenden Cousins vor einem Jahr.
Natürlich ist auch Danish* nicht immun gegen diesen im ganzen Land umhergehenden Wahn, uns als Gästen jeden nur erdenklichen Wunsch erfüllen zu wollen und sich von dieser Mission unter keinen Umständen abbringen zu lassen. Wie so viele vor ihm bot der sympathische, junge Mann uns einen Schlafplatz in seiner Wohnung an. Als wir erklärten, dass wir zunächst nach Gatschi Su e Bala möchte, fackelte Danish* nicht lange, bezahlte ein Taxi zu seinem Apartment, ließ uns in sein Auto einsteigen und fuhr uns „mal eben“ bis zur Jurtenpension, ein 85km weiter Weg, für den wir in eine Richtung eineinhalb Stunden brauchten. Es ist jeden Tag wieder aufs Neue der absolute Wahnsinn, was wir hier erleben.
Welch faszinierende und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Landschaft wir heute in vollen Zügen genießen konnten! Die seichten Erhebungen, von denen ich gestern bereits so schwärmte, umgaben uns, während wir auf schmalen Trampelpfaden oder matschigen Wegen durch das Gelände wanderten. […] Von oben betrachtet sahen die Erhebungen so harmonisch aus, dass sie wie Dünen wirkten und wir uns wie in einer bis zum Horizont reichenden, grünen Wüste fühlten.
Als wir den Zielpunkt unserer Wanderung erreicht hatten, brach die Landschaft gen Norden hin erneut mit sich selbst. Ein rasanter Abstieg markierte den Beginn einer geschätzt 500m tiefer gelegenen Ebene. Gespickt mit vielen kleinen, charaktervollen Zacken, die wie dutzende braune Sahnetupferl die Fläche dekorierten, erstreckte sie sich in ungeahnte Weiten und schien sich dabei in der Unendlichkeit zu verlieren. Wir konnten große Schafsherden erkennen, die von ihren Hirten umhergetrieben wurden, und in der Ferne, irgendwo kurz vor dem Horizont, blickten wir auf Turkmenistan.
Auch wenn diese wahnsinnig schönen und unerwartet spektakulären Eindrücke aus der Natur alles andere in den Schatten stellten, konnte uns auch das Ausflugsziel begeistern. Am Schrein des Chaled Nabi, Namensgeber der gesamten Stätte, wird um einen arabischen Geistlichen getrauert. Viel interessanter war jedoch der umliegende Friedhof, der entstand, lange bevor sich hier eine der Buchreligionen durchsetzen konnte. Auf einem grünen Hang stehen in unregelmäßigen Abständen große, teils über 2m hohe Steelen [sic!] aus Stein, die [an menschliche …] Geschlechtsorgane [erinnern …]. Vor dem bereits beschriebenen Hintergrund ergaben sich vor allem im Licht der tiefer stehenden Sonne wirklich epische Motive.
Weil es uns heute so umgehauen hat, durch diese Gegend zu wandern, und auch weil die Wettervorhersage noch einmal Sonne prognostiziert, haben wir uns bereits entschieden, um eine Nacht zu verlängern und den Heiligen Abend in dieser abgeschiedenen und friedlichen Region zu verbringen. Weihnachtstelefonate müssen dann warten. Eine Internetverbindung oder stabilen Handyempfang haben wir hier nämlich nicht.
Welch faszinierende und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Landschaft wir heute in vollen Zügen genießen konnten! Die seichten Erhebungen, von denen ich gestern bereits so schwärmte, umgaben uns, während wir auf schmalen Trampelpfaden oder matschigen Wegen durch das Gelände wanderten. […] Von oben betrachtet sahen die Erhebungen so harmonisch aus, dass sie wie Dünen wirkten und wir uns wie in einer bis zum Horizont reichenden, grünen Wüste fühlten.
Als wir den Zielpunkt unserer Wanderung erreicht hatten, brach die Landschaft gen Norden hin erneut mit sich selbst. Ein rasanter Abstieg markierte den Beginn einer geschätzt 500m tiefer gelegenen Ebene. Gespickt mit vielen kleinen, charaktervollen Zacken, die wie dutzende braune Sahnetupferl die Fläche dekorierten, erstreckte sie sich in ungeahnte Weiten und schien sich dabei in der Unendlichkeit zu verlieren. Wir konnten große Schafsherden erkennen, die von ihren Hirten umhergetrieben wurden, und in der Ferne, irgendwo kurz vor dem Horizont, blickten wir auf Turkmenistan.
Auch wenn diese wahnsinnig schönen und unerwartet spektakulären Eindrücke aus der Natur alles andere in den Schatten stellten, konnte uns auch das Ausflugsziel begeistern. Am Schrein des Chaled Nabi, Namensgeber der gesamten Stätte, wird um einen arabischen Geistlichen getrauert. Viel interessanter war jedoch der umliegende Friedhof, der entstand, lange bevor sich hier eine der Buchreligionen durchsetzen konnte. Auf einem grünen Hang stehen in unregelmäßigen Abständen große, teils über 2m hohe Steelen [sic!] aus Stein, die [an menschliche …] Geschlechtsorgane [erinnern …]. Vor dem bereits beschriebenen Hintergrund ergaben sich vor allem im Licht der tiefer stehenden Sonne wirklich epische Motive.
Weil es uns heute so umgehauen hat, durch diese Gegend zu wandern, und auch weil die Wettervorhersage noch einmal Sonne prognostiziert, haben wir uns bereits entschieden, um eine Nacht zu verlängern und den Heiligen Abend in dieser abgeschiedenen und friedlichen Region zu verbringen. Weihnachtstelefonate müssen dann warten. Eine Internetverbindung oder stabilen Handyempfang haben wir hier nämlich nicht.

Das beständige, laute Ächzen eines vor Schmerzen zusammengekrümmten Mann[es] im Bett neben mir, die offene Schnittwunde am Arm einer schwangeren Frau vor mir oder auch das von Erbrochenem übersäte Bettlaken schräg gegenüber. All das waren Eindrücke in der Notaufnahme des Krankenhauses in Kalaleh, die ich vorgestern Abend, also am Heiligen Abend, eher unfreiwillig sammelte. In dem etwas behilfsmäßig [sic!] zusammengeschusterten Zimmer war Platz für sieben Betten; die blauen Sichtschutzvorhänge blieben in dem hektischen Treiben häufig geöffnet. Die Ärzte und Schwestern hatten viel zu tun und ich konnte live miterleben, wie der Arm vor mir genäht und der stöhnende Herr neben mir über seine Nase mit Brechmittel versorgt wurde. Später trat noch eine uralte Dame in gebeugtem Gang ein und klagte mit rauchiger Stimme über ihr Leid. Auch ich wurde nach und nach versorgt, bekam eine aufpeppelnde Kochsalzlösung verabreicht und wurde zum Blut- sowie zum Urintest und danach zum Röntgen gebeten. Glücklicherweise blieben die Untersuchungen ohne Befund, sodass es bei der Diagnose einer leichten Gehirnerschütterung blieb und ich das Krankenhaus nach ungefähr zwei Stunden wieder verlassen konnte.

Am Vormittag desselben Tages waren Xändi und ich frohen Mutes zu einem gemeinsamen Ausflug mit Sale, dem äußerst sympathischen Gastgeber der Jurten-Pension, aufgebrochen. Zunächst besuchten wir seinen Bauernhof, streichelten kleine Ziegen und bestaunten zwei ausgewachsene Kamele. Ziemlich bald standen zwei Pferde für uns parat und über die Steigbügel schwangen wir uns zum ersten Mal überhaupt in unserem Leben auf den Sattel eines Rosses. In gemütlichem Trab durchquerten wir eine wunderschöne Schlucht und waren erneut umgeben von diesen einzigartigen Hügeln. Nur der von Xändi berittene Schimmel wollte nicht so ganz gehorchen, neigte immer wieder seinen Kopf herunter zum Gras und brach einmal sogar aus, beschleunigte unerwartet schnell und ließ sich von der etwas in Panik geratenen Alex nicht mehr kontrollieren. Erst die steile Wand der Schlucht konnte es zum Stoppen bewegen.
Als wir die Kuppe eines Hanges und damit unseren Rastplatz für die Mittagspause erreicht hatten, führte Sale uns seine Reitkunst vor und gab uns erneut einige Tips [sic!] zum Bedienen der Zügel – ohne gemeinsame Sprache war es jedoch nicht ganz leicht, alles zu verstehen. Nun wollte ich ausprobieren, schwang mich auf das weiße Ross, das vorher noch von Xändi beritten worden war. Ganz alleine wagte ich mich in langsamen Schritten entlang des Kammes bis zum höchsten Punkt der Umgebung vor und genoss das wahnsinnige Panorama, während ich auf dem Rücken des Pferdes saß. Da ich bereits etwas Vertrauen gefasst hatte, wurde ich auf dem gerade einmal 200m weiten Rückweg etwas mutiger, wies dem Schimmel mit einigen „Tschu“-Rufen und dem Zusammenschnalzen der Zügel an schneller zu werden. Die Trittfrequenz erhöhte sich, ich spürte den stärker werdenden Gegenwind in meinem Gesicht. Und plötzlich, ohne dass ich es gewollt hatte, hob das Pferd ab – wir waren im Galopp und rasten fortan mit hoher Geschwindigkeit über die Hügelkette. Ich war entsetzt und begeistert zugleich. Doch genau in dem Moment, als ich mir darüber Gedanken machte, gleich bremsen zu müssen, merkte ich, wie mein Sattel nach links wegrutschte. In Schieflage geraten hatte ich noch genau einen Sprung des Schimmels Zeit festzustellen, wie misslich meine Lage war. Beim darauf folgenden Aufsetzen war es um mich geschehen. Die Kräfte rissen mich vom Pferd und ich fiel zu Boden, schlug dort zuerst mit dem Rücken und dann mit dem Hinterkopf auf.
Das Augenflimmern legte sich nach einer halben Stunde wieder. Die Kopfschmerzen blieben jedoch und nach etwa einer Stunde setzte eine immer schlimmer werdende Übelkeit ein, sodass irgendwann die Entscheidung gefällt wurde, mich ins 50km entfernte Kalaleh zu bringen. In einem Affenzahn sauste Sale durch die kurvige Strecke und übergab mich auf der Hälfte des Weges an den entgegeneilenden Krankenwagen – eine etwas übertriebene Aktion. Auf der Liege des Ambulanz-Fahrzeuges wurde mein Blutdruck und Puls gemessen, bevor ich eine Sauerstoffmaske aufgesetzt bekam und danach in ein etwas skurriles Gespräch mit dem Sanitäter verwickelt wurde. Er fragte mich über meine Reise und über meine Lebenspläne aus und bat mich am Ende der Fahrt tatsächlich um ein gemeinsames Selfie.
Gestern chauffierte uns Sale, dem der ganze Unfall sichtlich leid tat, bis nach Gonbad, lud uns in einem feinen Restaurant zum Mittagessen ein und setzte uns vor der Wohnungstür von Danishs* Familie ab. Beim Geld wurde es mal wieder kompliziert. Denn für die Behandlung im Krankenhaus, die er bezahlt hatte, wollte er keinen Cent von uns wieder sehen. Das wäre seine Pflicht als Gastgeber gewesen und so blieb es beim vereinbarten Preis für die Unterkunft.

Das beständige, laute Ächzen eines vor Schmerzen zusammengekrümmten Mann[es] im Bett neben mir, die offene Schnittwunde am Arm einer schwangeren Frau vor mir oder auch das von Erbrochenem übersäte Bettlaken schräg gegenüber. All das waren Eindrücke in der Notaufnahme des Krankenhauses in Kalaleh, die ich vorgestern Abend, also am Heiligen Abend, eher unfreiwillig sammelte. In dem etwas behilfsmäßig [sic!] zusammengeschusterten Zimmer war Platz für sieben Betten; die blauen Sichtschutzvorhänge blieben in dem hektischen Treiben häufig geöffnet. Die Ärzte und Schwestern hatten viel zu tun und ich konnte live miterleben, wie der Arm vor mir genäht und der stöhnende Herr neben mir über seine Nase mit Brechmittel versorgt wurde. Später trat noch eine uralte Dame in gebeugtem Gang ein und klagte mit rauchiger Stimme über ihr Leid. Auch ich wurde nach und nach versorgt, bekam eine aufpeppelnde Kochsalzlösung verabreicht und wurde zum Blut- sowie zum Urintest und danach zum Röntgen gebeten. Glücklicherweise blieben die Untersuchungen ohne Befund, sodass es bei der Diagnose einer leichten Gehirnerschütterung blieb und ich das Krankenhaus nach ungefähr zwei Stunden wieder verlassen konnte.

Am Vormittag desselben Tages waren Xändi und ich frohen Mutes zu einem gemeinsamen Ausflug mit Sale, dem äußerst sympathischen Gastgeber der Jurten-Pension, aufgebrochen. Zunächst besuchten wir seinen Bauernhof, streichelten kleine Ziegen und bestaunten zwei ausgewachsene Kamele. Ziemlich bald standen zwei Pferde für uns parat und über die Steigbügel schwangen wir uns zum ersten Mal überhaupt in unserem Leben auf den Sattel eines Rosses. In gemütlichem Trab durchquerten wir eine wunderschöne Schlucht und waren erneut umgeben von diesen einzigartigen Hügeln. Nur der von Xändi berittene Schimmel wollte nicht so ganz gehorchen, neigte immer wieder seinen Kopf herunter zum Gras und brach einmal sogar aus, beschleunigte unerwartet schnell und ließ sich von der etwas in Panik geratenen Alex nicht mehr kontrollieren. Erst die steile Wand der Schlucht konnte es zum Stoppen bewegen.
Als wir die Kuppe eines Hanges und damit unseren Rastplatz für die Mittagspause erreicht hatten, führte Sale uns seine Reitkunst vor und gab uns erneut einige Tips [sic!] zum Bedienen der Zügel – ohne gemeinsame Sprache war es jedoch nicht ganz leicht, alles zu verstehen. Nun wollte ich ausprobieren, schwang mich auf das weiße Ross, das vorher noch von Xändi beritten worden war. Ganz alleine wagte ich mich in langsamen Schritten entlang des Kammes bis zum höchsten Punkt der Umgebung vor und genoss das wahnsinnige Panorama, während ich auf dem Rücken des Pferdes saß. Da ich bereits etwas Vertrauen gefasst hatte, wurde ich auf dem gerade einmal 200m weiten Rückweg etwas mutiger, wies dem Schimmel mit einigen „Tschu“-Rufen und dem Zusammenschnalzen der Zügel an schneller zu werden. Die Trittfrequenz erhöhte sich, ich spürte den stärker werdenden Gegenwind in meinem Gesicht. Und plötzlich, ohne dass ich es gewollt hatte, hob das Pferd ab – wir waren im Galopp und rasten fortan mit hoher Geschwindigkeit über die Hügelkette. Ich war entsetzt und begeistert zugleich. Doch genau in dem Moment, als ich mir darüber Gedanken machte, gleich bremsen zu müssen, merkte ich, wie mein Sattel nach links wegrutschte. In Schieflage geraten hatte ich noch genau einen Sprung des Schimmels Zeit festzustellen, wie misslich meine Lage war. Beim darauf folgenden Aufsetzen war es um mich geschehen. Die Kräfte rissen mich vom Pferd und ich fiel zu Boden, schlug dort zuerst mit dem Rücken und dann mit dem Hinterkopf auf.
Das Augenflimmern legte sich nach einer halben Stunde wieder. Die Kopfschmerzen blieben jedoch und nach etwa einer Stunde setzte eine immer schlimmer werdende Übelkeit ein, sodass irgendwann die Entscheidung gefällt wurde, mich ins 50km entfernte Kalaleh zu bringen. In einem Affenzahn sauste Sale durch die kurvige Strecke und übergab mich auf der Hälfte des Weges an den entgegeneilenden Krankenwagen – eine etwas übertriebene Aktion. Auf der Liege des Ambulanz-Fahrzeuges wurde mein Blutdruck und Puls gemessen, bevor ich eine Sauerstoffmaske aufgesetzt bekam und danach in ein etwas skurriles Gespräch mit dem Sanitäter verwickelt wurde. Er fragte mich über meine Reise und über meine Lebenspläne aus und bat mich am Ende der Fahrt tatsächlich um ein gemeinsames Selfie.
Gestern chauffierte uns Sale, dem der ganze Unfall sichtlich leid tat, bis nach Gonbad, lud uns in einem feinen Restaurant zum Mittagessen ein und setzte uns vor der Wohnungstür von Danishs* Familie ab. Beim Geld wurde es mal wieder kompliziert. Denn für die Behandlung im Krankenhaus, die er bezahlt hatte, wollte er keinen Cent von uns wieder sehen. Das wäre seine Pflicht als Gastgeber gewesen und so blieb es beim vereinbarten Preis für die Unterkunft.
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Michael

liebt es zu reisen und dabei die Welt zu beobachten. Während er unterwegs ist, tauscht er alle Hobbies gegen eines ein: Journal führen. Mit exzessiver Akribie malt er stundenlang Karten, gestaltet Übersichts-Tabellen und schreibt Erlebtes nieder.

* Damit ich niemanden in ernsthafte Probleme bringe, habe ich die mit * markierten Personen pseudonymisiert.

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Hey, ich bin Michael...

… und sehe mich als abenteuerfreudigen und neugierigen Reisenden. Dabei faszinieren mich ganz besonders Begegnungen bei der Fahrt per Anhalter, Navigation mit Karte und Grenzübertritte jeder Art.
Fast täglich schreibe ich auf diesen Reisen mit großer Hingabe in ein Journal. Mit meiner Kamera halte ich besondere Momente als Foto fest.

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